Die Zukunft der Leibesübungen: Guerilleros unterwegs
Von der Russischen Föderation, über Rio de Janeiro, in den taz-Seniorenstift „Fidele Bleistifte“ – es kommt noch einiges zu auf die Sportredaktion der taz.
Moskau/Berlin, 12. November 2013: Die Kampagne, Sportfotos mit Werbebotschaften wie Anzeigen zu berechnen (zwölf Firmen, rund 72.000 Euro, taz berichtete), sorgt weiter für Furore. Nach der rechts drehenden Nationalbrause Red Bull und dem Schlafwagenkonzern Deutsche Bahn lehnt auch Borussia Dortmunds Tochterfirma Evonik Zahlungen ab. taz-Anwalt Jony Eisenberg bereitet Menschenrechtskampagnen, Verfügungen und große Reden vor. Derweil dreht Gazprom den Spieß um: Der Schröder-Konzern reicht Klage ein vor der 1. Gazkammer des Kassationsgerichts Moskau wegen „Nötigungsversuchen am russischen Staat“. Putin sagt einen Staatsbesuch in Berlin ab.
Dortmund, 31. Dezember 2013: Die taz veröffentlicht vorab exklusiv Robert Lewandowskis Neujahrsansprache, in der der Pole „mit dem Segen der Madonna von Tschenstochau den sofortigen Wechsel zum FC Bayern“ verkündet. Der BVB zieht sich darauf „aus dem Schweinesystem Bundesliga“ (Präsident Watzke) zurück. Steuerrebell Uli Hoeneß lästert aus der JVA Stadlheim: „Was interessieren uns die Loserteams?“
Atlanta, 25. Januar 2014: Am Abend nach dem verlorenen Werbeprozess in Moskau überrascht Coca-Cola die Welt. „Solange Sie uns nicht durch Pepsi ersetzen“, lässt die Zentrale in Atlanta wissen, „unterstützen wir Sie gern. Gerade im von Russland geknechteten Berlin haben wir schon vor 50 Jahren sehr schlechte Erfahrungen gemacht, wie in Billy Wilders Film „Eins, zwei, drei“ dokumentiert wurde. Das soll besser werden. Drei Container mit Flaschen unseres Qualitätsprodukts sind über die Luftbrücke unterwegs, gez. CEO Marketing Hanns L. Schlemmer.“
Nürburg/Berlin, 13. März 2014: Die schwarz-grüne Bundesregierung schließt den Nürburgring und die Rennstrecke in Hockenheim. „Aus Ehrfurcht vor der Schöpfung“, sagen die einen, wegen „raserischen Unsinns jenseits aller Toleranz“, die anderen. Das Ende der Formel 1 ist eingeleitet. Sebastian Vettel lernt um auf Fahrradkurier.
57, ist seit 1983 freier Journalist für Sport und alle anderen wichtigen Themen des Daseins. Von 1999 bis 2000 war er angestellter Leibesübler.
Stuttgart, 14. Mai 2014: Auch Daimler will bezahlen. Konzernphilosophen sind zum Ergebnis gekommen, „das Verpixeln des Mercedes-Sterns, dieses konstituierenden nationalen Kulturguts“, sei „viel weniger hinnehmbar als Zahlungen von werberischen Peanuts“. Jony Eisenberg mailt aus dem sibirischen Gulag: „Venceremos Gospodins. Wir kämpfen weiter.“ Die deutsche Marketinggesellschaft begrüßt die Zahlungen: „Der Guerillawerbung gehört die Zukunft. So wird der Guerillero gesellschaftsfähig.“
Rio, 5. August 2016: Pünktlich zur Eröffnung der 31. Olympischen Spiele erscheint die 1000. Folge von „Daily Dope“. Dr. Thomas Bach war tags zuvor die lebenslange Einnahme von Anabolika zur Stärkung des Zungenmuskels nachgewiesen worden. Bach verweigert in seiner siebenstündigen Rede einen Rücktritt: „Die olympische Familie kann nicht ihren 1. Sohn verstoßen.“
Berlin, 31. 12. 2019: Mit dem letzten Arbeitstag des taz-Geschäftsführers Kalle Ruch, 65, erscheint im Medientempel Blumenmarkt Friedrichstraße auch die letzte gedruckte taz-Ausgabe. Die Leibesübungen verabschieden sich mit einem Dossier „Das waren die Leibesübungen, die waren“ vom Gewicht einer durchschnittlichen Ausgabe der letzten deutschen Printzeitung (Die Zeit) von 7,5 Kilogramm.
Doha, 11. August 2022: Favorit Katar wird im Mohammed-I.-Saunapark von Doha durch ein 3:0 gegen Saudi-Arabien Fußballweltmeister. Nur der robuste taz.de-Reporter Markus Völker kann aus dem mitgeführten mobilen Sauerstoffzelt die Meldung in der Welt verbreiten. Alle anderen Zuschauer und auch Mannschaften weilen längst dehydriert mit Hautverbrennungen und an Hitze kollabiert in lokalen Spitälern. Nur Fußballchef Sepp Blatter, 86, jubelt aus seiner klimatisierten Sänfte: „Katars Sieg macht die Welt der Fifa immer runder.“
Berlin, 18. 10. 2043: Zum 60. Geburtstag der Leibesübungen im taz-SeniorInnenstift Fidele Bleistifte in Kreuzberg sind alle gekommen – vom Doyen Manfred Kriener, 89, im selbst steuernden Powerscooter E-Rollstuhl bis zu Norbert Thomma, 91, der zu Fuß von seiner monatlichen Albwanderung („hat der Vader auch immer gemacht …“) angereist ist. Man lauscht dem Referat von Matti Lieske, 91, über den neuerlichen World-League-Gewinn der Braunschweiger Eintracht. Das Finale sei „nicht schlecht“ gewesen, zieht er die Herz 10 seiner Begeisterungsfähigkeit, „nicht schlecht“. Präsenile Jungspunde wie Frau Schießl und Frau Heim, die Herren Unfried und Ketterer sowie DFB-Präsident Andreas Rüttenauer als Stargast lassen sich bei den Feierlichkeiten von US-Autor Tommi Winkler zu selbst gebackenem American Pie mit Cream einladen.
Berlin, 19. 10. 2043: Sanft werden zur Geisterstunde alle Feiernden von ihren freundlich piependen Pflegerobotern gebettet. Die Heim-Önologen Kriener und Thomma köpfen unter der Bettdecke noch ein paar gute Tropfen und lesen sich dann wie jeden Abend glanzäugig ihre ersten taz-Texte als Gute-Nacht-Geschichten vor. Bald träumt die ganze Bagage eisweinsüß von lange vergangenen Zeiten.
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