Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Ein Soap-Darsteller wird Terrorexperte, und der "Club 27" hat ein neues Mitglied. Die Woche mit Friedrich Küppersbusch.
taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht letzte Woche?
Friedrich Küppersbusch: Der Euro ist auf dem Weg, der erste Schlauch zu werden, der komplett aus Flicken besteht.
Was wird besser in dieser?
Ordentlich geflickt geht nie mehr auf.
Viele Medien vermuteten nach der Tragödie in Norwegen reflexhaft einen islamistischen Hintergrund. Ein Ausdruck von Islamophobie?
"Terrorexperte" scheint ein Kodewort zu sein, unter dem man inzwischen jeden Irren von der Straße ins Studio bittet. Am Freitagnachmittag wurden hintereinander weg al-Qaida, Gaddafi, der Islam an sich und jeder, der bei drei nicht aus der Moschee war, angeklagt. Als der Täter bereits verhaftet war, musste man sich auch bei Spiegel Online noch durch sieben Absätze Paranoia pflügen, um danach schlanke Hinweise auf Anders B. zu finden. Man berichtet, bevor man etwas weiß, das ist schlechtes Handwerk. Man hängt Schuldige vor der Beweisaufnahme, das ist Propaganda. Egal welches Problem - wahrscheinlich liegts am Islam. Das ist keine andere Denke als die des Täters. n-tv hatte schließlich den "Lindenstraßen"-Darsteller Georg Uecker am Telefon, der aus Kontakten mit norwegischen Angehörigen insitierte: Wir wissen noch gar nichts, wir sind einfach entsetzt und traurig. Der könnte ein guter Journalist werden.
Ist die vielbeschworene Offenheit der skandinavischen Gesellschaften nun in Gefahr?
Ist Anders B. im Kern seiner Religion von Thilo Sarrazin zu unterscheiden? "Europa wird arabisiert" - "Deutschland schafft sich ab"? Wenn es je "Salonbolschewiken" gegeben hat, haben wir es längst mit Salonnazis zu tun. Für diese todschicken Hassprediger brauchen wir nicht auf Skandinavien zu zeigen. Die Islam-Schmähungen gehen nie ohne den diffusen Begriff "Netzwerk" ab, während die Welt und Innenminister Friedrich den Täter sogleich zum "verrückten Einzeltäter" erklärten, zum "einsamen Sonderling voller hasserfüllter Gedanken". In Schweden und Dänemark regieren die vereinzelten Sonderlinge bereits mit. Die EU lässt Dänemark seine klar fremdenfeindlich motivierten Grenzkontrollen durchgehen: Da könnten wir schon nein sagen. Die vollständig paranoiafreien Statements des noch sichtlich geschockten Stoltenberg imponieren mir: "Zusammenstehen und aufeinander achtgeben".
Die britische Soulsängerin Amy Winehouse wurde in ihrer Londoner Wohnung tot aufgefunden. Sie wurde nur 27 Jahre alt. Da stellt sich mal wieder die Frage: Müssen große Künstler tragische Figuren sein?
Wikipedia listet den "27 Club" mit den Gründungsmitgliedern Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Jim Morrison. Curt Cobain, behauptet ein Biograf, habe früh erklärt, dem Club beitreten zu wollen, was ihm gelang. Nun Amy Winehouse. Nein, mein Leben wurde später richtig schön, und ich finde das alles bescheuert und traurig. Vielleicht sollte man Stars, die im Alter echte Scheißmusik machen, einfach dafür lieb haben, dass sie es noch tun.
Weder Schlichter Heiner Geißler noch der Stresstest erreichen eine von allen Seiten anerkannte Entscheidung. Zeigt die Debatte über Stuttgart 21, dass man es mit der Perfektionierung der Demokratie auch übertreiben kann?
Die Debatte zeigt, dass man einen amtlich verschlossenen Sack noch mal aufbekommen kann. Und dass wir im Abendrot der Alle-vier-Jahre-abnicken-Demokratie sind. Zwei zukunftsweisende Ergebnisse.
Im Internetportal "Klarheit und Wahrheit" können sich Verbraucher über täuschende Aufmachungen von Lebensmitteln beschweren. Ein neuer Lebensabschnitt für Hersteller?
Verbraucher stehen heute da, wo früher Arbeitnehmer standen: Wenn die nicht wollen, bekommen ganze Konzerne Probleme. Man mag ungerecht finden, dass vielen Branchen heute Streiks der Belegschaft wurstegal sind, weil draußen genug Arbeitssuchende rumstehen. Doch selbst die FDP möchte ein "Bürgergeld", damit der, der scheinbar nichts kann, wenigstens doch konsumieren kann. Dort setzt das Portal an, und der DGB kann sich begucken, wie ihn eine CSU-Ministerin überholt.
Warum gibt es ein Jahr nach der Loveparade-Tragödie immer noch keine Verantwortlichen?
Hinter dem Nichtrücktritt des Bürgermeisters können sich viele verstecken, die auch versagt haben. Sauerland hat sich mit seiner Sturheit um den Job des Alleinschuldigen beworben, den es ausweislich aller Erkenntnisse gar nicht gibt.
Und was machen die Borussen?
Die norwegische Liga hat den Spielbetrieb eingestellt. Ich hätte auch das "Supercup"-Spiel um die goldene Ananas BVB - Schalke nicht gebraucht an diesem Wochenende.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris