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■ Die Walser-Debatte trägt nichts zur Verständigung über die Bundesrepublik bei, die findet woanders und durch andere Medien stattDas Verletzungssyndrom

Nachdem ich letzten Donnerstag in der taz nicht weniger als vier Artikel zum Thema Martin Walser gelesen hatte, stand ich später am Tag dann doch ziemlich konsterniert am Kiosk und mußte auf dem Titel der Zeit lesen: „Warum Walser irrt“. Das muß man erst mal verdauen: Deutschlands größtes Problem in dieser Woche ist der „Irrtum“ eines Schriftstellers. In gewissen Kreisen scheint „Walser“ eine Art Synonym für das große Ganze geworden zu sein: Holocaust, Nation, wenn nicht, wie kürzlich beim Spiegel gar: das 20. Jahrhundert. Und selbst Micha Brumlik, der feststellt, daß es sich bei der Debatte offensichtlich um einen „Fall von Oberschichtskommunikation“ handelt, um einen „Selbstverständigungsprozeß des deutschen Bildungsbürgertums“, verfällt am Ende in Superlative: „Es wird diese Debatte sein, in der die ,Berliner Republik‘ und ihre Nationalidee geboren wird.“ (taz, 3.12.)

Fragt sich nur, wer hier eigentlich „gebärt“. Es ist atemberaubend, wie selbstverständlich die beteiligten Hochkultur-Mandarine sich selbst beziehungsweise ihr „Gewissen“ mit Deutschland verwechseln. Aber könnte es nicht sein, daß mit dem ununterbrochen beschworenen „wir“ dieser Debatte tatsächlich wenig mehr gemeint ist als eine überalterte und zunehmend ohnmächtige Elite beim Rückzugsgefecht? Und was die von Brumlik angesprochene „Topographie“ der Auseinandersetzung betrifft: Könnte es sein, daß man hier dem letzten Aufbäumen eines angesichts der schwerwiegenden kulturellen Veränderungen völlig orientierungslos wirkenden Feuilletons lauscht? Dem Röcheln einer traditionellen Hochkultur, die sich selbst noch mal versichert, daß sie immer noch der exklusive „Geburtsort“ von „Nationalideen“ ist? In Wirklichkeit findet die Verständigung über die Bundesrepublik Deutschland ja längst woanders und durch andere Medien statt – irgendwo zwischen Bildern, digitaler Kommunikation und Großereignissen wie der Love Parade (wie auch immer man das bewerten mag).

In diesem Sinne merkt man zumindest Frank Schirrmacher manchmal eine gewisse Verunsicherung an. So hält er es für beunruhigend, daß sich in der Bundesrepublik „unterschiedliche Öffentlichkeiten“ etabliert haben. Aber selbstverständlich grenzt es an eine narzißtische Kränkung, daß Schirrmacher und jene, denen er Laudationen hält, keinen Alleinvertretungsanspruch mehr auf Deutschland haben. Daß die Bundesrepublik heutzutage mehr ist, ein verknäueltes Durcheinander, in dem das Printmedium FAZ nur noch einen ganz bestimmten Ausschnitt der Bevölkerung erreicht.

Diese Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust erklärt den verbreiteten Kathedertonfall. Denn gern schmücken sich ja die älteren Herren mit der Autorität dessen, was sie schon 1963, 1976 oder 1979 gesagt haben. Walser bietet seinen Kritikern gar „Nachhilfestunden“ an. Schirrmacher hat völlig recht: Diese Diskussion wirkt wie eine „Deutschstunde für Inländer“. Nur: Wer will die eigentlich? Insofern wird von „Generationswechsel“ auch nur geredet. Vom US- Amerikaner Goldhagen vor einiger Zeit mal abgesehen, ist das Schweigen der „jüngeren Intellektuellen“ zum Thema ja ziemlich beredt.

Was in dieser Debatte „geboren“ wird oder zumindest voll zum Tragen kommt, ist tatsächlich eine neue, „verdrehte“ Form von Antisemitismus. Denn nun präsentieren sich die Mehrheitsangehörigen so, als seien eigentlich sie die – ganz persönlich betroffenen – Opfer von Rassismus. Walser und Dohnanyi müssen mit einer „Last“ leben, mit einer „Schande“, mit einem „schwierigen Schicksal“, befinden sich gar in „historischer Haft“. Sie wurden „mißbraucht“, „manipuliert“ und „mißverstanden“, ihnen wurde „wehgetan“, sie sind „verletzt“, „gekränkt“ – und dabei ohnehin so „empfindsam“ und von schwacher „seelischer Konstitution“.

Martin Walser fühlt sich schon bedroht, wenn man einfach nur die Fakten der rassistischen Ausschreitungen vor Asylbewerberheimen von 1992 nennt. Wer hätte da kein Mitleid mit diesen armen älteren Herren? Die von Rassismus Betroffenen sollten sich wirklich dafür entschuldigen, daß sie das Gewissen der Mehrheitsangehörigen so strapazieren. Im übrigen kennt man diese Art der Argumentation – wenn auch ganz sicher mit anderen Zielsetzungen – aus den einschlägigen Publikationen der Neuen Rechten.

Das neue Verletzungssyndrom kulminiert bekanntlich in der Abwehr des Holocaust-Mahnmals. Dieses wirkt gewissermaßen wie der Gipfel des „Mißbrauchs“. Seine Erbauung wird, so Rudolf Augstein, unter anderem betrieben von der (selbstverständlich jüdischen) „New Yorker Presse“ und von (jüdischen) „Haifischen im Anwaltsgewand“. Insofern wäre das Mahnmal dann eine Art „Siegesäule“ der „Holocaust-Instrumentalisierer“ und würde notwendig den Antisemitismus stärken. Im Grunde nährt jede weitere Erwähnung des Holocaust den Antisemitismus, und daher wäre es gerade im Sinne der Juden besser, man hörte endlich auf, darüber zu reden. Und genau das schlägt Walser schließlich auch vor: „Wir“ schweigen, „wir“ gehen alle nach Hause und lecken im stillen „unsere“ Wunden – irgendwie sind wir doch alle Opfer. Und wo einmal das Private politisch werden sollte, wird nun das Politische privat: ein Pluriversum diffuser Gefühle.

„Öffentliche Gewissensakte“, meint Walser, „sind in der Gefahr, symbolisch zu werden.“ Aber was spricht gegen Symbolisierung? Martin Walser ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß er ernsthaft glaubt, im Holocaust-Mahnmal sollte sein persönliches Gewissen, seine „innerliche Einsamkeit“ öffentlich ausgestellt werden. Aber in diesem Denkmal soll eben nicht der „Bewußtseinszustand“ eines alternden deutschen Dichters repräsentiert werden, sondern die ganz und gar öffentliche Verantwortung dieses Staates als „Rechtsnachfolger“ des „Dritten Reiches“ für ein Verbrechen. Nur solche Symbolisierung macht eine sinnvolle Form der Erinnerung überhaupt möglich – denn welche „persönliche“ Beziehung sollten jüngere Menschen noch zum Holocaust haben? Dabei könnte in einer Welt, die zunehmend von symbolischen Spektakeln zusammengehalten wird, gerade das Element des Spektakulären an diesem Mahnmal dafür sorgen, daß es bei den Jüngeren Interesse weckt. Im besten Fall würde es mit Hilfe der Vergangenheit den Entwurf einer politischen Gemeinschaft der Zukunft symbolisieren, die nicht von der Gewalt des Rassismus durchzogen ist. Mark Terkessidis

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