■ Querspalte: Die Wahrheitsmaschine
Gangster und Bösewichter können sich jetzt frisch machen, warm anziehen und anschließend fest anschnallen. Nix mehr mit frechen Unschuldsbeteuerungen. Treuherziges Gesicht aufgesetzt, sich in einen schicken Anzug geschmissen und die Staatsanwältin becirct – aus und vorbei. Ein gnadenloses Gerät entledigt den Angeklagten jeglicher Hülle, schält Schicht um Schicht ab, bis der letzte Rest, das Unbewußte, zur nicht ungefährlichen Kernspaltung auf den Seziertisch kommt.
Da liegt der Urgrund des Seelischen nun und wird mit dem Skalpell durchpflügt. Das verblüffende Ergebnis der Obduktion: Das Unbewußte lügt nie. Spektakulär. Die Entdeckung der lange vermißten fünften Dimension. Professor Undeutsch sei Dank. Kollege Freud, Patentinhaber in Sachen psychische Abgründe und Tiefschichtigkeiten, wußte nur von vier Kategorien: unter anderem Zeitlosigkeit und Ersetzung der äußeren Realität durch die psychische. Die Geschichte der Psychologie muß neu geschrieben werden.
Der Körper als höriger Befehlsempfänger des Unbewußten ein Hort der Wahrheit? Das um die Qualität der Rechtsprechung besorgte Bundesverfassungsgericht hat der Flunkerei mit der Zulassung eines „psycho-physiologischen Gutachtens unter Anwendung eines Polygraphen“ den Garaus gemacht. Seitdem ist die Welt für potentielle Knackis nicht mehr dieselbe. Allein der Gedanke an den Lügendetektor läßt des Täters Schweiß aus den Poren schießen und verwandelt die Nervenbahnen in knisternde Hochspannungsleitungen. Den Erregungssturm mißt dann der Kölner Psycho-Onkel Udo Undeutsch mit seiner Apparatur, die er sich, Gerüchten zufolge, nach ausgiebigem Konsum fragwürdiger amerikanischer Gerichtsstreifen zusammenbastelte. Seinen Opfern stülpt der 80jährige ein Elektrohütchen auf den Finger, fragt dann: „Waren Sie's?“, und oszillieren die Schreibarme in wilden Amplituden, klicken auch schon die Handschellen. Das Leben kann manchmal so einfach sein. Man muß nur an die Wissenschaft glauben. Ganz fest. Markus Völker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
