Die Wahrheit: Klotzkettenparadies Frankfurt
In der Bankenmetropole sind sogar Gespräche in der Warteschlange vor dem Eisladen völlig krypto.
L etzter Sommersonntag in der Mainmetropole. Eine grotesk lange Hipsterschlange hat sich im Frankfurter Altbau-Gentrifizierungs-Block um die Eisdiele gebildet. Yogagestählte Körper, Urlaubsschmuck, Tatoos und Sommerkleider möchten nochmals ausgeführt werden. Vor mir wartet mein Nachbar Mister Cool in hellblauen Bermudashorts auf sein Eis. Wir plaudern übers Wetter, bis es in seiner Hand vibriert. „Sorry“, sagt er. Und dann ins Telefon: „Grüß dich! Ja. Geenau! Bin vierundzwanzig sieben erreichbar. Weißt du, wie ich mein? Okay, suuper!“
Er dreht sich grinsend wieder zu mir um: „Bitcoins sind durch, viel zu teuer – aber es gibt jetzt ein brandneues Fintech in Frankfurt, nur für tokenisierte Wertpapiere auf Blockchain-Basis, kennst du das? Geiles Zeug, habe gerade einen heißen Tipp bekommen.“ Ich fasel ein wenig überrascht etwas daher von „Sind Blockchains nicht hochspekulativ? Und funktionieren irgendwie ganz ähnlich wie Schneeballsysteme?“
„Nein, so ist das nicht. Du hast ja keine Ahnung. Block heißt Klotz, und Chain ist Kette. Du musst eben wissen, wo korrekte Leute am Werk sind, die nur mit sauberen Klötzen in der Kette arbeiten. Dann kannst du gut mitverdienen.“
Eine aufs Eis wartende Dame von weiter vorne in der Schlange mischt sich ein. „Mit Kryptowährungen werden kriminelle Gelder verschoben, weil die normalen Benkenregularien damit total überfordert sind!“
„Von der Wahnsinnsenergie, die dadurch verschwendet wird, ganz zu schweigen. Die Schürfstellen von Kryptowährungen kannst du mit Infrarotkameras von Satelliten aus erkennen, so viel Strom brauchen die“, kräht ein Kind neben ihr zu uns rüber. Es ist höchstens zehn Jahre alt. „Ja, und wofür soll das eigentlich gut sein? Geld ist doch schon erfunden und kompliziert genug“, schiebe ich noch hinterher.
„Halloo, ihr schmeißt alles durcheinander. Ich kann so was normal legal versteuern, wäre sonst doch gar nicht erlaubt. Sorry, ich verstehe etwas mehr davon als die meisten hier“. Mr Cool nimmt die Sonnenbrille ab und schaut in die Runde. Unwilliges Gemurmel. Er lacht sein heute nervendes Mr-Cool-Lachen. „Hey, Frage an euch: Welche Eissorten nehmt ihr? Habt ihr das Basilikum-Zitrone-Kümmel schon probiert? Sensationell!“ Die Sonne brutzelt ziemlich und die Diskussion löst sich auf. Jetzt spricht eine Gruppe hinter uns über Fenster-Solarzellen. „Vielleicht kannst du dieses Projekt ja mit tokenisierten Wertpapieren finanzieren?“, frage ich Mr Cool schlau.
Er lässt mir am Tresen den Vortritt, er will mich loswerden. Auch gut. Die Eisverkäuferin handelt schnell mit stabilen, schmackhaften Kugeln. Die ganze Blockschlange und ich sind heute extrem heiß drauf. Wir investieren hochspekulativ ohne Limit und bar in den eiskalten Schmaus. Und morgen früh gehen die Anzeiger auf den heimischen Waagen durch die Decke. Ganz schön aufregend hier im Klotzkettenparadies Frankfurt.
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