Die Wahrheit: Im Namen der Melone
Generation Final Cut: Alle Welt hat Angst vor Messermännern. Dabei gibt es doch auch ehrenwerte und nette Schnitter, die gern Obstsalat fabrizieren.
Seit einiger Zeit herrscht in Berlins Bussen und Bahnen Wassermelonenpflicht. Wer eine Wassermelone mit sich führt, darf ein Messer egal welcher Klingenlänge dabei haben. Und Wassermelonen sind ja – gerade im Sommer – ohnehin Pflicht für ein besseres Leben. Sie erfrischen, sind kalorienarm und mitunter sogar lecker. Vor allem kombiniert mit wirklich schmackhaften Zutaten.
Es muss nicht immer Hack sein, mitunter reicht auch Käse. Beispiel: Trendgenuss Melonen-Feta-Salat. Endlich darf man ohne schlechtes Gewissen einen ganzen Laib dieses übersalzenen Käses, diesen schwerfälligen Brocken vergorener Bergziegenmilch, in sich hineinstopfen. Der Durst, der dem unweigerlich folgt, wird durch das Melonenwasser sogleich gemindert, wenn auch nicht gestillt, sodass späterer Konsum stimmungsaufhellender Getränke nicht ausgeschlossen ist.
Dies versöhnt mich mit der Wassermelone, also fast. In erster Linie trage ich sie wegen des Messers durch die Welt. Das ist neu. Ein Geschenk, das ich allen vorführen will. Tatsächlich zeigen sich sämtliche Betrachter beeindruckt, selbst wenn ich das Messer spät abends in der umstrittenen Berliner U-Bahn-Linie 8 aus meinem Rucksack ziehe. Da lacht niemand mehr, nicht mal über die vielen Pflaster, die meine Finger seit Neuestem zieren.
Alles richtig gemacht. Ich habe der Schenkerin Geld gegeben, einen symbolischen Betrag. Bei geschenkten Messern droht sonst Ungemach. Alte Wikingerweisheit: Wer ein Messergeschenk annimmt, muss damit rechnen, dass die Beziehung zum Schenkenden bald abbricht und er oder sie in nicht allzu ferner Zukunft dein Schiff versenken wird. Nur woher sollte ich so schnell ein Schiff herkriegen?
Blitzblanke Gabe
Daher habe ich mich für das Messer revanchiert mit einer Ein-Cent-Münze. Symbolisch halt. Immerhin blankpoliert. Die Schenkerin zeigte sich zwar irritiert darob, so auf der anderen Seite der Ladentheke, vielleicht hatte ich sie mit meiner blitzblanken Gabe auch überrumpelt, aber ich hielt ja ein Messer in der Hand. Da konnte sie nicht viel machen. Ich war ein Mann mit einem Messer. Und das ganze Land hat nun mal Angst vor Messermännern.
Dass selbst Berliner Busfahrer – sonst furchtloser als jeder Wikinger auf Brandschatzzug – Angst vor Messern haben, wundert mich zwar, doch hilft ja auch hier Symbolik. In Form einer Wassermelone. Ich hatte sogar ihre Schale gewienert. Sie glänzte regelrecht.
Ganz wohl fühlte ich mich allerdings nicht in meiner neuen Rolle als Messermann. Das Messer an sich war toll, schärfer als Lumpi, das spürte ich, sobald ich irgendwas in kleine Teile schnitt, etwa eine Zwiebel oder ein Radieschen, mitunter einfach nur ein zimmerwarmes Stück Butter. Ja, das ging leicht. Durch wie Butter. Womöglich fühlte sich das Messer schwer unterfordert, weshalb es mir ein ums andere Mal in die Finger schnitt.
Als kein Stück Finger mehr pflasterfrei war, verlor ich die Lust daran, meinen Mitmenschen das Messer vorzuführen, zumal ich Rückenschmerzen bekam durch das beständige Tragen der Melone. Daher entschloss ich mich, sie zwischenzulagern in meiner Speisekammer. Selbst für den Kühlschrank war sie zu schwer. Der Einlegeboden war durchgebrochen. Warum wird nicht vor so was gewarnt? Leute, schafft euch keine Messer an, sonst droht Einlegebodenbruch!
Höchste Zeit also, die Melone ihrer Bestimmung zuzuführen und sie in Salatobst zu verwandeln. Um ihr dies Finale möglichst feierlich zu gestalten, richtete ich alles her, zerschnitt Feta, zerhackte Minze und presste eine Zitrone aus, nicht ohne ihr zuvor Zesten abzuziehen. Schließlich röstete ich Pinienkerne. Ich kam mir vor wie ein Folterknecht und schnitt mir dabei doch bloß in den eigenen Leib.
Wegen der vielen Pflaster rutschte die Klinge andauernd von meinen Fingern ab. Und so zierten Messerschnitte bald auch meine Unterarme. Ich sah aus wie ein depressiver Teenager mit Borderline-Störung. Nur dass depressive Teenager sich vor der Selbstverstümmelung keinen Melonen-Feta-Salat machen. Dafür ist sie doch viel zu faul, diese Generation Final Cut.
So faul wie die Wassermelone in meiner Kammer. Erst ließ sie sich wie ein Pascha durch die Gegend tragen, und dann war sie jetzt auch noch zu faul, um angehoben zu werden. Als ich sie ergriff, glitten meine bepflasterten Finger durch die Schale. Ich kam mir vor wie der Seewolf, der mit bloßen Händen rohe Kartoffeln in butteriges Püree verwandeln konnte.
Dann wurde ich des ganzen Schlamassels gewahr. Meine Wassermelone war zu Melonenwasser geworden – verteilt über den ganzen Boden meiner Kammer. Diese Obsthavarie hatte ein paar Leben gekostet. In der Lache schwammen Fische mit dem Bauch nach oben, na ja, kleine silbrig glitzernde Fische. Und es roch. Nicht nach toten Silberfischchen, sondern eher nach vergorener Frucht.
Prickelndes Wasser
Diese Wassermelone war nicht einfach faul, nein, die war stinkefaul. Das stieg mir in die Nase, machte mich benommen. So verflog mein Groll bald, und ich atmete noch tiefer ein, verlor die Kontrolle über meinen Körper, ließ mich fallen, mit dem Gesicht in die Melone, und kam so auf den Geschmack. Prickelndes Melonenwasser, mjam.
Als ich den ganzen Kammerboden leer getrunken hatte, rappelte ich mich auf. Mehrmals musste ich mich festhalten, mit dem Gesicht auf der Küchenarbeitsplatte. Die war immerhin weich, dank des hier verteilten Feta. Ich schmeckte dessen Salzigkeit auf meinen Lippen. Sein intensiver Duft stieg mir in die Nase, wo eben noch das Odeur meiner geliebten Melone hing. Das wollte ich nicht verlieren. Ich versuchte mich dagegen zu wehren und von der Arbeitsplatte zu lösen.
Dabei ertastete ich das Messer, griff voll in die Klinge. Ui, das tat weh, trotz der vielen Pflaster. Ich spürte, wie mein Blut in die vom Melonenwasser vollgesogenen Vliesstoffstreifen sickerte. Ich wurde wütend auf mich. Doch auch wenn ich so aussah, als neigte ich zur Selbstverstümmelung, beschlich mich das Gefühl, jemand anderen dafür verantwortlich machen zu müssen.
Ich griff erneut zum Messer, bekam es diesmal am Griff zu fassen. Packte die Melone, deren Schale noch zur Hälfte intakt war. Ihr Inneres hatte sich komplett aufgelöst. Ich setzte mir den Melonenrest auf den Kopf und stürmte dann auf die Straße. Im Namen der Melone.
Und, war da nicht was? Stand dieses plörrige Obst nicht für einen erbitterten Nachbarschaftsstreit an fernem Gestade? Egal, Hauptsache, ein Grund, mein Messer in der Sonne blitzen zu lassen. Leute sahen mich entsetzt an. Ich wischte mir Feta-Krümel aus dem Gesicht und zeigte ihnen mein Messer.
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