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Die WahrheitDer gebratene Küchenjunge

Einer der berühmtesten Geister Britanniens wohnt im schottischen Parlament in Edinburgh. Noch heute wandert er durch die Hallen von Queensberry House.

W ill man einem Geist begegnen, muss man nach Schottland reisen. Ein altes Haus ohne Gespenst ist dort so selten wie ein Hühnerzahn. Einer der berühmtesten Geister wohnt im Parlament in Edinburgh. Der größte Teil des Parlamentskomplexes ist zwar gerade einmal 21 Jahre alt, aber das Gebäude ist mit dem benachbarten Queensberry House, einem Stadthaus aus dem 17. Jahrhundert an der Royal Mile, durch ein Gewirr von Gängen verbunden.

Morgen vor 26 Jahren, am 1. Juli 1999, wurde die Macht vom Londoner Westminster-Parlament auf das neue schottische Parlament übertragen, das aber zunächst in einem provisorischen Gebäude tagte. Erst im September 2004 war die neue Residenz fertig. Ron Halliday, Forscher für Paranormales, sagte: „Viele unangenehme Energieströme fließen durch das Parlamentsgebäude, es ist kein angenehmer Ort.“

Anfang des 18. Jahrhunderts war es der Wohnsitz von James Douglas, dem 2. Herzog von Queensberry, der maßgeblich an den Verhandlungen über die Unionsakte zwischen Schottland und England beteiligt war. Weithin bekannt wurden die Queensberrys Ende des 19. Jahrhunderts, als der irische Schriftsteller Oscar Wilde mit seiner Verleumdungsklage gegen den 9. Herzog von Queensberry scheiterte und wegen Homo­sexualität zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Weniger bekannt ist, dass der 9. Herzog 1867 das Regelwerk des Boxens erarbeitet hatte, das in groben Zügen auch heute noch gültig ist und unter anderem Boxhandschuhe vorsah.

In der Nacht des 22. Juli 1706 nahm der 2. Herzog von Queensberry seinen gesamten Hofstaat mit ins Parlamentsgebäude, um sich wegen seiner Verdienste um die Union zwischen Schottland und England feiern zu lassen. Während der Rest des Haushalts ein paar Hundert Meter weiter die Royal Mile hinaufzog, blieben im Queensberry House nur zwei Personen zurück: der zehnjährige Sohn James und ein Küchenjunge, der sich um das abendliche Essen am großen Kamin in der Küche kümmerte.

James, der 3. Herzog von Queensberry, galt als geisteskrank und durfte das Haus nie verlassen. Er wurde zwar gefüttert und mit Wasser versorgt, aber sonst kaum beachtet. Aber in dieser Nacht kam er hungrig aus seinem Zimmer und machte sich auf den Weg in die Küche. Es heißt, James habe sich aus lauter Hunger den Fleischspieß im Kamin gegriffen, bevor er sich auf den Küchenjungen stürzte, ihn zerstückelte, auf einem Spieß röstete und ihn verspeiste. Als die Familie zurückkam, lagen überall in der Küche Bratenstücke und Teile des Jungen herum.

Der Kaminofen ist heute noch in der Bar des Parlaments zu sehen. Mitarbeiter und Besucher haben berichtet, dass sie den Küchenjungen einsam durch die Hallen von Queensberry House wandern sahen. Der Geist spukt seit jener Nacht im Jahr 1706 durchs Haus und sagt: „Ich hätte dir doch eine Stulle gemacht.“

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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1 Kommentar

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  • Such a parcel of rogues in a nation ... um einen alten Kommentar zur "Union" per Bestechung wiederzugeben, den u.a. Steeleye Span musikalisch umsetzte.



    Das ist der wahre Ungeist, nicht jener frühe Haggis-ist.