Die Wahrheit: Der mit dem Pferd funkt
Im bayerischen Allgäu führt ein windiger Tiertherapeut telepathische Gespräche mit Nutzvieh und Journalisten.
Auf Alfons Epples esoterischem Lehrbauernhof im Allgäu riecht es nach Pferdemist und verschwitzten Astralleibern. Nach einer langen Phase absoluter Konzentration nimmt der selbsternannte „Yogi aus Nesselwang“ die Hände von dem massigem Pferdekopf. Die Gedankenverschmelzung zwischen Epple und dem bislang als unzähmbar geltenden Lipizzanerhengst Sauron endet mit Erfolg.
Die schlechte Aura des Rüpel-Rappen wurde von Epples positiver Mindpower neutralisiert. Den abschließenden Test, bei dem Epple nur Zentimeter vor den Nüstern des Muskelpakets ein Ritual aus spitzen Schreien und provozierenden Grimassen vollführt, besteht Sauron mit Bravour. Anstatt sein Gegenüber ins Erdreich zu trampeln, zupft das riesenhafte Pferd nach der mentalen Gehirnwäsche friedlich Klee und Gänseblümchen aus dem Rasen. Epple bricht in einen spontanen Begeisterungs-Jodler aus.
Der Begründer der „Nonverbalen und gestenlosen Mensch-Tier-Kommunikation, kurz NUGMETIK, hat uns zu einer Tour durch das telepathische Epizentrum des Allgäus eingeladen. Wie der hypersensible 64-Jährige uns nach dem Händeschütteln erzählt, hört er Flöhe und anderes Getier seit seiner Kindheit nicht nur husten, sondern auch denken. „Damit die Kunst der mentalen Übertragung von Bildern, Gefühlen und Gerüchen zwischen Mensch und Tier nicht ausstirbt, reiche ich mein profundes Wissen in Abendkursform weiter. Haben Sie eigentlich Hunger?“
Uralte Rätsel
Epple lädt uns zur Jause in seine gemütliche Bauernstube ein. Der Psi-Profi platziert uns auf seiner mit Tierhaaren übersäten Behandlungscouch. Das Menü ist eher spartanisch. Es gibt Nassfutter aus der Dose und Wasser aus dem Napf. Aber genau aus dieser Küche betreibt der alpine Tausendsassa seit Jahren seine Hofpraxis für Haustier-Reiki und Paarhuferpaartherapie.
Wie Epple uns berichtet, stellt er dabei mit Vorliebe in Stein gemeißelte Grundsätze der Verhaltenslehre auf den Prüfstand. „Woher Hunde den unwiderstehlichen Drang haben, Artgenossen am Hinterteil zu riechen, Ausscheidungen zu fressen oder sich rücklings in stinkendem Aas zu wälzen? All das verraten mir meine Patienten während der Sitzungen“, tippt sich der Mentalist bedeutungsvoll auf die Stirn. Auch das uralte Rätsel um plötzlich erstarrte Katzen, die mit weit aufgerissenen Augen einer unsichtbaren Präsenz durch den Raum folgen, hat Fichtlhuber dank einer felinen Whistleblowerin gelöst. Er senkt die Stimme zu einem Flüstern. „Die verarschen uns einfach. Aber komplett!“
Nachdem wir einen Riegel Hundeschokolade zum Nachtisch bekommen haben, folgen wir Epple in den Salon für spirituelle Séancen. Den Gedankenaustausch mit den Viechern pflegt der Alm-Guru auch über den Tod der Vierbeiner hinaus. Das nur für ihn hörbare Gekläff aus den ewigen Gassigründen übersetzt er gegen eine Spende der trauernden Herrchen und Frauchen gern in die Menschensprache. Seine Offerte, beim okkulten Körbchenrücken für uns einen kostenpflichtigen Kontakt zur Original-Lassie aus den Fünfzigerjahren herzustellen, lehnen wir jedoch dankend ab.
Faustdicke Überraschung
Auf dem Weg zurück zum Hoftor erspäht Epple über uns einen Kranichschwarm, der sich offenbar verflogen hat und nun laut rufend über Nesselwang kreist. Dass er in diesem Fall sofort telepathisch einen Routenplan zum Himmel schickt, ist laut dem NUGMETIK-Begründer oberste Schamanenpflicht. Als die Schar umgehend die falsche Richtung einschlägt, bringt das den Urallgäuer aber auch nicht in Erklärungsnot. „Ich habe die Vögel darum gebeten, vor der Weiterreise noch eben die AfD-Zentrale in Kempten vollzuscheißen“, frohlockt Epple. Spätestens jetzt würden wir nur zu gerne glauben, dass es sich beim Magus aus dem Allgäu nicht bloß um die bayerische Antwort auf Uri Geller handelt.
Als wir uns nach der Verabschiedung von unserem Gastgeber zum Gehen umdrehen wollen, erleben wir aber doch noch eine faustdicke Überraschung. In vier Metern Höhe schwebt allen Ernstes ein wohlgenährtes Holstein-Rind an uns vorbei. Dahinter schlurft Epples sechsjährige Enkelin über den Schotter, die den bovinen Wonneproppen mit wischenden Handbewegungen durch die offene Stalltür manövriert. „Tja“, grinst der Medizinmann. „Wo man auf Telepathie trifft, ist Telekinese nicht weit, gell?“
Noch im Auto hören wir die Stimme des Hornochsen-Heilers deutlich durch unsere Schädel hallen. „Ihr seid Rindviecher! Und ihr wollt nichts lieber werden als Burger! Oder ein Schmorbraten!“ Nichts da! Raus aus unseren Köpfen, Alfons Epple. Aber Dalli!
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