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Die WahrheitNärrisches Getöse

Bundeskanzler Olaf Scholz schätzt den Berliner Kultursenator Joe Chialo als liberale Stimme der rechtslastigen Merz-Partei. Ist Chialo denn liberal?

Hofnarr“ also und „Feigenblatt“. So, so. Die eigentliche Sensation, dass Olaf Scholz etwas nicht vollständig Erwartbares gesagt hat, geht unter im Getöse über den „rassistischen Aussetzer“ (Focus), weil der Nochkanzler den schon als angehenden Kulturstaatssekretär der nächsten Bundesregierung „gehandelten“ Joe Chialo, einen der extrem raren, nicht weißen relevanten Unionspolitiker, so genannt habe. Im privaten Partygespräch, nachdem die CDU im Bundestag den „Beginn einer neuen Epoche“ (Bernd Baumann, AfD) eingeleitet hat durch das Hinzuziehen der Voll-, Halb- und Viertelnazis der AfD zur Erlangung parlamentarischer Mehrheiten.

Man muss jetzt nicht tief in die semantische Exegese einsteigen, um zu zeigen, dass weder „Hofnarr“ noch „Feigenblatt“ per se rassistische Schimpfwörter sind einerseits, während andererseits selbstverständlich je nach Kontext praktisch jeder Begriff eine rassistische Konnotation erlangen kann.

Der Focus-Mann, der dabei war und die Sache nach vermutlich zehntägiger Gewissensqual bedeutsam genug fand, um nun doch über das Privatgespräch zu berichten, bezieht die Bezeichnungen auf den Umstand, dass Chialo schwarz sei, während Scholz darauf besteht, der von ihm „sehr geschätzte“ Berliner Kultursenator sei eine der wenigen „liberalen Stimmen“ der rechtsausfälligen Merz-Partei, also quasi ein schwarzes Schaf unter braunen Wölfen als gelbes Feigenblatt.

Dass sich im Gefolge nun ausgerechnet Medien wie Focus, Welt und Nius sowie ein Mordor entsprungenes Geschöpf namens Julian Reichelt, bei denen Rassismus Kern des Geschäftsmodells ist, über den angeblichen Scholz-Aussetzer ereifern, ist die eine Pointe der Affäre.

Die andere ist, dass Scholz falschliegt, wenn er Chialo als liberales Gesicht seiner Partei anpreist. Denn der Mann hat als Kultursenator durch eine verpfuschte Klausel zur Fördermittelverteilung dem berechtigten Anliegen, dem obsessiven und notorischen Antisemitismus eines beachtlichen Teils der Berliner Kulturszene entgegenzutreten, einen echten Bärendienst erwiesen.

Zudem ist er mitverantwortlich für einen beispiellosen kulturellen Kahlschlag in der Hauptstadt durch ebenso drastische wie kurzfristige Kürzungen im Kulturetat. Die er überdies so verteilt, dass sie besonders die nicht marktgängigen, kleinen Künstler und Kulturveranstaltungen treffen. Und dem dazu dann die Empfehlung einfällt, die Kulturschaffenden sollten sich halt um Mäzene und Sponsoren kümmern, wenn sie ihren nicht hinreichend marktgängigen Quatsch unbedingt weiterbetreiben wollen.

Ein Kulturverständnis also, mit dem er ziemlich gut anschlussfähig ist an die Vorstellungen der AfD – und ausgerechnet der Mann soll das liberale Feigenblatt der Union sein? Da gilt dann vielleicht doch eher das alte Diktum von Funny van Dannen: „Auch lesbische schwarze Behinderte / können scheiße sein.“

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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5 Kommentare

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  • Danke. …anschließe mich

    Daß nun & … vorneweg die 🩲crime&schleim



    Unterhosenblätter rumhetzen - verwundert ja nicht sonderlich & die Etatkürzungen* des Herrn aus feinem Haus - Hofschranzenquälität erkennen lassen - weisen ihn nahlos als “der alte 🤬 “ (©️PU sei Perle;) lindnerliberal aus.



    Was - toogestanden - der andere Herr aus fein betuchtem Haus allerdings nicht gemeint hat.

    unterm——*



    Ein bekanntes billiges Cliche - “nach oben boxen - nach unten treten“ - was mich wg gleicher Variante in Kölle - huch - zum Vorsitz eines Theaterfördervereins beförderte! Newahr



    Dem Diplomatensprößling “mit Glaskinn“!;) 🙀



    Sei Afrikakenner Paul Parins Mitbegründer der Ethnopsychoanalyse - schmales inhaltlichsreiches Buch “Zu viele Teufel im Land. Aufzeichnungen eines Afrikareisenden (Werkausgabe Band 4). Mandelbaum, Wien



    de.wikipedia.org/wiki/Paul_Parin



    🪞- Gnothi seauton (altgriechisch Γνῶθι σεαυτόν Gnṓthi seautón, durch Elision auch Γνῶθι σαυτόν Gnṓthi sautón „Erkenne dich selbst!“ / „Erkenne, was Du bist.“)



    “Schaue in das Antlitz deines Feindes & erschrecke - wie sehr es deinem eigenen ähnelt!“ Wolgang 🚬 Neuss “»Heut’ mach ich mir kein Abendbrot, heut’ mach ich mir Gedanken.«

    • @Lowandorder:

      Schöner Schlenker und danke für den Hinweis auf Paul Parin. Obwohl ich viel in Westafrika unterwegs war (u.a. auch im Dogonland bei unserer Hochzeitsreise – NICHT intrusiv und rein von aussen beobachtend – und NIE wissenschaftlich), geht mir diese ethnopsychologische Betrachtungsweise ab.

      Werde ich mich aber in baldiger Zukunft mal mit beschäftigen:

      “Die Weissen denken zu viel“ gibt und gab mir schon oft zu denken, obwohl ich ja nicht dieses weisse Geldscheffelsyndrom habe…

      Zuversicht schöpfend

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Entre nous - but not only

        Bei Paul Parin wär ich vorsichtig mit



        “hört auf rumzuspychologisieren!“



        Davon ab - Tucho meinte das fürs Strafverfahren.



        Parin in Teufel will auf etwas anderes hinaus - die absichtsvoll btw Kolonialisierung en passant geschaffenen Eliten & da paßt unser Fiimschi prima rein - verlieren gern die Bodenhaftung &



        “die Bedeutung meiner Stellung - erfüllt mich mit Bewunderung - so oder ähnlich



        Scheunen Sündach ook

        • @Lowandorder:

          Weniger die "ethnopsychologische Betrachtungsweise", als vielmehr “Die Weissen denken zu viel“



          gibt mir da zu denken und zu überdenken...

          • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

            Hier für dieses wahrhaft auch lesens- & bedenkenswertes Buch



            Die Weißen denken zu viel -



            Die Fundstelle PDF 🙀🥳🧐 -



            paul-parin.info/wp.../deutsch/1993c.pdf