Die Wahrheit: Beck in Bochum
Wer sich in denkbar größter Entfernung zu einer Theke setzt, möchte vielleicht nicht gestört werden. Pustekuchen, wenn auch ein Politiker zugegen ist.
H otelfrühstück vor einigen Wochen in Bochum. Der Herr gegenüber münchnerte: „Bochum! Da kommst nur her, wennst zum Fußball willst oder zum ‚Starlight Express‘. Sonst ist da nix.“
Doch. Am Vorabend gab es für mich weit Interessanteres als den VfL oder die singenden Rollschuhfahrer. Gegen 23 Uhr trank ich ein Anlegebier in der Lobby und las einen langen Artikel in der Zeitung. Schwerer Stoff. Ich saß in denkbar größter Entfernung zur Theke.
Immer wieder hörte ich eine Stimme. Versatzstücke. Ich sah auf. Jemand tigerte durch den Raum und sprach laut ins Phone. Mal die Linke in der Tasche, dann wieder gestikulierend, während er schreitend im Wichtig-wichtig-Modus mit seinem Gegenüber parlierte. Ich hörte Bruchstücke, Wortfetzen, Ausrufe. Es war immens wichtig, politisch. Er lachte oft: „Ja, der kennt mich, und wie der mich kennt.“
Wieder schritt er von mir fort, durchwalkte die 20-Meter-Fensterfront, als wäre er in einem Großraumbüro, in einer Telefonkonferenz, die eigene Bedeutung belegt durch zurückgelegte Kilometer je Minute. Ich versuchte zu lesen. Er kam zurück, lachte: „Koalition“. Langsam wurde es schwierig, mich auf meinen Artikel zu konzentrieren. Geh doch nach drüben, fiel mir ein, und ich lächelte. Jetzt sagte er: „Habeck“, und lachte dann keckernd!
Wer hörte ihm bloß so ausgiebig zu?
Nun ging er nicht mehr die ganze Strecke, sondern blieb nahe bei mir. Die Schritte wurden kürzer. Konditionsschwäche? Er redete ununterbrochen. Wer hörte ihm bloß so ausgiebig zu? Jetzt bog er direkt auf mich zu! Volker Beck. Plötzlich wusste ich, der Herr im maßgeschneiderten, enganliegenden weißen Hemd war der Grünen-Politiker. Dem muss man selbstverständlich zuhören, auch wenn man selbst etwas ganz anderes lesen will.
Ich guckte auf Google nach: „Volker Beck arbeitet nicht länger für Ceres.“ Centrum für Religionswissenschaftliche Studien, Ruhr-Uni Bochum. Er arbeitet nicht mehr an der Uni? Mit Professur? Nein, nur ein Lehrauftrag. Aber wieso arbeitet er dort nicht mehr? Entlassen? Eingespart? Die zwei an der Theke, mit dem Wein, waren das seine Bodyguards? Oder tranken sie Wasser?
Erneut umrundete er meinen Tisch laut parlierend. Ich stand auf, im verwaschenen T-Shirt und ging zum weißen Hemd. Er drehte sich weg. Ich ging um ihn herum. Er hatte ein unfassbar wichtiges Gespräch, er rettete gerade die Welt, und ich rettete mich, indem ich sehr freundlich sagte: „Könnten Sie woanders dozieren?“
Er schaute mich von oben herab an, aber ich bin ja auch kleiner. Dann machte seine freie Hand eine Bewegung, die ich seither versuche nachzumachen. Er wischte etwas Lästiges beiseite. Die Hand senkrecht, krallte er seine Finger zusammen. Ein wenig vampirhaft wie Klaus Kinski in „Nosferatu“. Tja, wer bin ich schon? Ein anonymer Zeitungsleser. Für den Bochum viel mehr ist als VfL und „Starlight Express“.
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