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Die WahrheitMenschen, die ihr Abendessen mittags einnehmen

In der irischen Grafschaft Kerry sind Parlamentssitze vererbbar und die Menschen komisch. Die Komischsten von ihnen kommen ins Parlament …

D ie Brüder riechen nach Torf. Das ist Absicht, sie reiben sich jeden Morgen mit dem fossilen Brennstoff ein. Michael und Danny Healy-Rae sind bei den jüngsten irischen Parlamentswahlen mit der Behauptung angetreten, dass Torf keineswegs schädlich für das Klima sei: „Gott da oben kontrolliert das Wetter, und wir hier unten können daran nichts ändern“, sagten sie.

Die Gebrüder gehören einer mächtigen Polit-Dynastie aus der Grafschaft Kerry im Südwesten der Insel an, wo Parlamentssitze vererbbar und die Menschen komisch sind. Die Komischsten von ihnen kommen ins Parlament. Das sind die Healy-Raes, beide wurden wiedergewählt. Sie stammen aus der Gemarkung Rae, einer abgelegenen Ecke, nach der sie sich benannt haben.

Gründer der Dynastie war Jackie Healy-Rae. Er wurde 1931 in großer Armut geboren, gründete später ein Unternehmen für die Vermietung von Pflanzen, kaufte eine Kneipe und vertrat seinen Wahlkreis 14 Jahre lang im Dubliner Parlament – allerdings aus der Ferne, denn er verließ Kerry nur im Notfall. Er vertrete das einfache Volk von Irland, behauptete er: „Das sind die Menschen, die ihr Abendessen mittags einnehmen.“

Als sein Haar in den sechziger Jahren zurückging, trat er nie ohne eine russische Uschanka-Pelzmütze mit Ohrenklappen auf. Später ersetzte er sie durch eine karierte Schiebermütze, mit der er 2014 auch beerdigt wurde, weil sie mit seiner Kopfhaut verwachsen war. Seinen beiden Söhnen hatte er zur Erstkommunion Schiebermützen und Gummistiefel geschenkt.

Dem Vater immer ähnlicher

Mit zunehmendem Alter wurden die beiden ihrem Vater immer ähnlicher, weil sie wegen der flüssigen Nahrung die violetten Healy-Rae-Gesichter bekamen. Sie behaupten, das Verbot von Alkohol am Steuer sei eine Schikane aus Dublin. Grund für die vielen tödlichen Unfälle auf Irlands Straßen seien in Wirklichkeit die Büsche, die in die Straßen hineinragen.

Man unterschätzt sie leicht, weil sie bei öffentlichen Auftritten wie Dorftrottel wirken, aber unter ihren Mützen arbeitet ein habgieriges Hirn. Sie betreiben recht unverhohlen Vetternwirtschaft und gehören zu den reichsten Parlamentariern, was sie aber durch bescheidenes Auftreten zu verschleiern versuchen.

Zwei missratene Clan-Mitglieder haben dafür gesorgt, dass dieser Ruf wankt. Jackie Healy-Rae jr., benannt nach seinem Opa, und sein jüngerer Bruder Kevin, Söhne von Michael Healy-Rae, wurden wegen eines nächtlichen Angriffs auf eine Pommesbude zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die beiden sind Mitglieder im Stadtrat. Sie hatten sich vorgedrängelt und gerufen: „Macht Platz! Das ist unsere Stadt!“

Das war dann doch ziemlich bescheiden, denn eigentlich gehört ihnen die Grafschaft. Aus der Gemarkung Rae sind sie längst hinausgewachsen. Es gibt deshalb Bestrebungen des Clans, den Namen auf Healy-Kerry zu ändern.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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