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Die WahrheitVerhunzte Kunst

Neues aus Neuseeland: Die aoetereanische Welt der wunderschönen Bilder wurde letztens empfindlich gestört. Aber Achtung: erfolgreicher Kiwi-Protest!

R ita Angus ist den Kiwis fast so heilig wie Mount-Everest-Bezwinger Edmund Hillary. Die 1970 verstorbene Malerin ist der Picasso Neuseelands, nur pinselte sie realistisch statt kubistisch. Ihr berühmtestes Werk zeigt eine verwitterte Holzbaracke und heißt schlicht „Cass“. Der gottverlassene Bahnhof in den Bergen der Südinsel ist jetzt noch berühmter – dank eines Kulturskandals.

Nach drei Stunden Zugfahrt kam die Künstlerin im Mai 1936 in Cass an, um zehn Tage auf einer Farm für biologische Feldforschung zu verbringen. Sie hielt ihre Umgebung in Zeichnungen und Aquarellen fest und schwärmte vom „blauen Himmel“, pries „Sonnenuntergänge hinter dunklen Bergen, kalte Schatten und dünne Rauchfäden aus Schornsteinen“. Glückliche Tage waren das.

Zurück in Christchurch schuf Angus aus Skizzen ihr legendäres Bild: ein einsames Bahnhofgebäude aus der Pionierzeit vor kahlen Bergen. So wie der röhrende Hirsch die deutsche Seele bewegt, lässt „Cass“ echte Kiwiherzen höher schlagen. 2006 wurde der Klassiker zum berühmtesten neuseeländischen Kunstwerk gewählt.

Einer nur in Cass

Cass hat nur einen einzigen Einwohner. Der Flecken liegt in den Bergen nahe des Arthurs Pass, an der einzigen Bahnlinie, die als Touristenattraktion von der Ost- zur Westküste führt. Zu sehen gibt es dort nichts außer Gleisen, Gipfeln und Fichten, aber Reisende steigen gern aus und machen Fotos vom Bahnhäuschen, um das Angus-Bild zu imitieren.

Vorigen Monat war es mit dem Knipsen in Cass jedoch vorbei. Denn Neuseelands Eisenbahn hatte direkt neben dem renovierten Holzhaus ein großes schwarzes Schild mit fettem „KiwiRail“-Schriftzug aufgestellt. Damit war das Panorama verschandelt und die Ikone entehrt. Man stelle sich vor, neben Schloss Neuschwanstein würde ein McDonalds-Schriftzug prangen. Nicht mehr postkartentauglich – ein Sakrileg!

Kulturbewahrer und Naturfreunde liefen gegen die Entweihung mit empörten Zuschriften an die Presse Sturm: „Rita Angus wäre entsetzt!“ Selbst „Jurassic Park“-Schauspieler Sam Neill meldete sich zu Wort. Er hat ein paar Filme für Christchurchs Kunstgalerie vertont, wo das Angus-Werk seit 1955 hängt. „Welcher Idiot hat das verbrochen? Komm schon, melde dich!“

Der Idiot meldete sich. „Wir haben uns geirrt“, gab der zuständige Bahn-Chef kleinlaut zu. „Wir werden das Schild an eine bessere Stelle versetzen.“ Gesagt, getan und abgeschraubt. Es folgte sogar ein Statement auf Instagram: „Wir danken den Kunstliebhabern, die uns gezeigt haben, dass unser Schild die berühmte Aussicht verschandelte – whoops.“

Doch wird der nächste Skandal ähnlich glimpflich ausgehen? Gefahr droht der auf Leinwand verewigten Natur von überall. Die kargen Täler von Otago zum Beispiel wurden vom hochdotierten Künstler Grahame Sydney festgehalten. Seine Fans befürchten Schlimmstes. Schnell noch ein paar Fotos machen!

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Anke Richter
Anke Richter ist Wahrheit-Kolumnistin, Buch-Autorin und Mitglied von Weltreporter.net in Neuseeland. Zuletzt erschien von ihr die Auswanderersatire "Was scheren mich die Schafe. Unter Neuseeländern - Eine Verwandlung" (Kiepenheuer & Witsch).
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