Die Wahrheit: Reisewarnung für Deutschland
Wer kürzlich in Israel war, stellt nach der Rückkehr fest: Makramee und Kakteenzucht sind hierzulande die absoluten Topthemen.
Als das lilafarbene Boot auf der Berliner Spree tuckert, wissen wir wieder, wo wir sind: in bräsig Deutschland. Das Boot wirbt reißerisch für einen „geopolitischen Podcast mit Sigmar Gabriel“, der der am zweitkürzesten im Amt gewesene SPD-Bundesaußenminister aller Zeiten war und eine der größten Plaudertaschen unter dem Berliner Himmel ist. Gabriel tätigt heute als „Berater und Publizist“, das „Tagesausflugsschiff The Pioneer One“ cruist als „Redaktionsschiff“, so Wikipedia, auf Deutschlands Binnenmeeren.
Als wir am Berliner Flughafen tags zuvor leidlich frisch aus Israel ankamen, finden wir alles einfach nur: seltsam. Auf den Bildschirmen ist die Breaking News zu lesen, dass eine Künstlerin in NRW ein „Zimmerpflanzenprojekt mit Makrameeelementen“ plant; dicht gefolgt von der Nachricht, dass das Bundesland „zwölf Millionen Euro für Denkmalschutz“ dieses Jahr ausgibt. Hot Stuff.
In Tel Aviv war gerade noch des Nachts eine unbemerkt durchgeschlüpfte Riesendrohne der jemenitischen Huthis runtergekracht – ein Toter, mehrere Verletzte die Bilanz. In der wuseligen Wolkenkratzerstadt ging das Leben bereits ein Block weiter davon einfach so weiter. Null Panik war nirgends zu sehen, „für mich gibt es immer nur ganz unmittelbare Gefahr“, sagte der Bademeister am kilometerlangen weißen Sandstrand und zückte die Trillerpfeife. Ein Hund kackte just in die Körner.
„Danke, dass Sie uns trotzdem besuchen“
Für Israel, das sich im berechtigten Kampf gegen die islamistische Hamas befindet, für Israel, das das damit verbundene furchtbare humanitäre Fiasko im Gazastreifen im Land selbst viel kontroverser diskutiert, als es von außen scheint, für dieses Israel gilt eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Versicherungstechnisch macht das Sinn, menschlich gesehen nicht. Ob Kirchenbesuch in Jerusalem oder Bauhaus-Tour in Tel Aviv: Immer wieder landete das Gespräch bei der heiklen, komplett verfahrenen Lage in Nahost, und immer wieder fiel der Satz: „Danke, dass Sie uns trotzdem besuchen.“
Shalom, wo soll man denn auch anders hin, wenn einem schon der Berliner Wechselstubenmitarbeiter feist lächelnd am Flughafen erklärt, „dass Sie ihre israelischen Schekel in der ganzen EU derzeit nicht mehr getauscht kriegen, weil ich morgen dafür nix mehr sehe, wenn heute noch eine Rakete in eine Bank in Tel Aviv einschlägt.“ Tja, money makes the world stand still – oder so ähnlich.
Am Gepäckband in Berlin steht auch erst mal alles und recht lang still: „Wegen vorangegangener schlechter Wetterbedingungen, kann es zu Verspätungen kommen.“ Gut, dann Toiletteneinkehr. Die WC-Dame wundert sich über die Ansage: „Wieso, ditte war doch ganz gut, ditte versteh ich nicht.“ Wir auch nicht. Als wir, weiter wartend, lesen: „West-Nil-Virus bei Habeck in Berlin entdeckt“, wollen wir sofort zurück ins Heilige Land. Reisewarnung für Deutschland! Doch da scheppert schon der Koffer an. Kein Entkommen. Übrigens: Es hieß Habicht. Nicht Habeck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch