Die Wahrheit: „Ay, caramba, hier ist was los!“
Das exklusive Wahrheit-Interview aus dem IPCC, dem Polizeihauptquartier der Fußball-EM in Neuss-Gnadental, mit einem spanischen „Kontaktbeamten“.
Seit zwei Jahren laufen die Vorbereitungen „für das polizeiliche Herzstück des sportlichen Mega-Events“, wie es menschelnd auf tagesschau.de zu lesen ist. „Die Sicherheitsorgane in Neuss“ haben sich „schon lange warmgelaufen“ für die EM-Gefahrenabwehr aus allen Richtungen. In der linksrheinischen Weltmetropole, bis 1968 mit ß geschrieben und heute noch Haribo-Stadt, operiert jetzt in einem Ausbildungszentrum der Polizei NRW das IPCC, das International Police Cooperation Center. Unter der Zusicherung anonym zu bleiben, sprach die Wahrheit mit einem „Kontaktbeamten“ aus Spanien.
taz: Hola, wie gefällt Ihnen Neuss?
Spanier: Die Menschen sind sehr freundlich hier zu uns in Gnadental. Heute morgen habe ich schon wieder Gummibärchen in meinen Landesfarben von der örtlichen Bevölkerung bekommen, als ich drei Stunden zu spät aus meinem Pendlerzug ausstieg. Das funktioniert hier gut, das mit den Gummibärchen.
Und sonst so, klappt es mit der Orga im EM-Polizeihauptquartier in Neuss?
Ach, wissen Sie, bei uns in Spanien geht es ja auch oft drunter und drüber, aber ich muss schon sagen: Deutschland ist bunt und nichts funktioniert, interessant. Ich habe „biodeutsche“, so sagen sie, Polizeikollegen hier mit Hitlerfotos im Spind und andere mit Regenbogen-Tattoo in der Kniekehle, also wirklich sehr bunt die Truppe. Und ich dachte Adolf Hitler sei schon längst tot …
Das dachte ich auch, aber lassen Sie uns zur Aufgabenverteilung beim IPCC kommen. Was machen Sie den ganzen Tag?
Es sieht eigentlich aus wie in einem Raumfahrtzentrum hier, nur dass wir uns nicht zum Mond schießen (lacht). Das wichtigste bei uns ist der große Saal mit den ganz hohen Decken, also ein bisschen wie im Madrider Prado … waren Sie da eigentlich schon mal?
Oh ja, ich bin ein Fan von Goyas Malerei, und gleich um die Ecke vom Prado ist diese furchtbar leckere Jamoneria mit ganz viel Bier und Schinken!
Sí, sí, hier, meine Karte, melden Sie sich bei mir, wenn Sie mal wieder in Madrid sind, olé!
Also, jetzt aber wieder Tacheles, Señor! Was passiert denn in dem großen Saal mit den ganz hohen Decken?
Ay, caramba, dort ist was los! Wenn wir im Dienst sind, müssen wir ständig auf eine 40,5 Quadratmeter große Videowand starren, auf der ganz viele verschiedene Bildschirme mit Zeugs laufen, das in Deutschland und Europa gerade passiert. Also, man sieht da zum Beispiel viele in verspätete Züge pinkelnde Männer, die mehr oder minder sportliche Kleidung tragen. Oder Drohnen, die hinter irgendeinem Buschwerk zusammen gebaut werden. Manchmal sehen wir auch entlaufene Dackel auf großer Fahrt. Diese Tiere reisen ihrer Nationalmannschaft hinterher. Da versuchen wir dann, die Herrchen und Frauchen in ganz Europa ausfindig zu machen.
Echt jetzt?
Ja, echt jetzt, die Polizei dein Freund und amigo, so sagen wir auch daheim in Spanien! Wir lieben Dackel!
Me encanta, freut mich, aber sagen Sie, wer entscheidet denn eigentlich, was auf die Videowand, auch Multivisionswand genannt, kommt?
Das wird in der sogenannten Roten Zone entschieden. Der Grüne Sektor ist übrigens für deutsche Beamte, hier gibt es lecker Butterbrot und ordentliche Gespräche mit den Kollegen von BKA und BND! Nancy Faeser habe ich übrigens auch schon kennengelernt. Sie dachte, der Prado hätte was mit Polizei zu tun! Also wirklich.
Wo sitzen Sie den ganzen Tag beim IPCC?
Ich sitze in der Blauen Zone mit Kollegen aus Polen und Italien. Jetzt bloß keine blöden Witze machen: Alkohol im Dienst ist natürlich auch in Neuss verboten! Außer Sangría.
Salud! Wer wird Europameister?
Österreich.
Herr Spanier, wir danken für das Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod