Die Wahrheit: Ganz, ganz kalter Scheiß

Im Emsland entsteht bei Haselünne ein kühn pazifistisches Pilotprojekt, das Konflikte ohne Verfallsdatum einfrieren soll.

Ein Arbeiter in Thailand trägt einen großen Eisblock

Gerade die eisblockfreien Staaten haben oft mit leicht verderblichen Konflikten zu kämpfen Foto: reuters

Im März hatte Rolf Mützenich harsche Kritik von mehr als vielen Seiten geerntet, nachdem der Fraktionschef der SPD im Bundestag vorgeschlagen hatte, „den Ukraine-Krieg einzufrieren“. Trotz aller berechtigter Kritik wollte der geborene und stramme Kölner aber „an seinen Äußerungen festhalten“. Recherchen der Wahrheit haben nun ergeben: Mützenich erhält seit April Schützenhilfe aus dem niedersächsischen Landkreis Emsland – und von der dort in einem pazifistischen Pilotprojekt wirkenden Firma Bofrost. Wir haben uns am Ort von „Peace for freeze“ bei Haselünne umgesehen.

Eigentlich liegen die Wurzeln der Bofrost-Dynastie ja im niederrheinischen Issum und Straelen. „Doch dort“, so erklärt uns Marketingchef Klaus Krüss gleich am mit echten weißen Tauben dekorierten Eingang zum Firmengebäude, „gab es keine Fördergelder, um eine bereits seit Bestehen von Bofrost 1966 bestehende Eisfachidee nun endlich eiskalt umzusetzen: Eine Einfrierung von Konflikten aller Art.“

Die Äußerungen von Mützenich im März seien da nur noch „das halbgefrorene Tüpfelchen auf dem schockgefrosteten Mischgemüse gewesen, wenn Sie verstehen, was ich meine“, meint der drahtige und echte Haselünner. Er bittet uns in die Werkshalle „Peace for freeze to go 1“ hinein.

Konflikte unter der Gürtellinie

Was für ein freundlicher, einladender und lichter Fabrikationsraum! Draußen vor der großen Fensterfront verläuft die geruhsam vor sich hin mäandernde Hase, drinnen ist gerade Frühstückspause, die friedlichen Fließbänder stehen still. Einige Angestellte haben ihre mit großen Peace-Zeichen dekorierten weißen Arbeitskittel an Nägel gehängt, die in die Wand geschlagen sind. Sie ziehen sich ein Butterbrot oder eine vegane Klappstulle rein und dazu eine Bong durch. Alles wirkt wunderbar easy.

„Nicht, dass wir uns falsch verstehen“, erklärt Krüss aus heiterem Himmel plötzlich scharf. „Aktuelle Großkonflikte wie den Israel-Gaza-Krieg, den russischen Überfall auf die Ukraine, aber auch schwere Nachbarschaftskonflikte, die über Grenzziehungsfragen hinaus- und unter die Gürtellinie gehen, bearbeiten wir derzeit noch nicht.“ – „Warum nicht?“, fragen wir ebenso scharf recherchierend zurück. Krüss lächelt jetzt milde. „Wissen Sie eigentlich, was es heißt, ein Produkt, einen Gedanken, einen Streit oder gar ein Kriegsbeil einzufrieren?“

Wir schütteln den Kopf, ­weder in Ethik noch Chemie oder Biologie haben wir in der Schule einst nachhaltig aufgepasst. „Beim Einfrieren erstarrt die Flüssigkeit darin zu Eis. Das stoppt den natürlichen Zerfallsprozess und macht alles länger haltbar.“ Krüss kratzt sich am Kopf, wir auch. Mist, die Ukraine-Russland-Gaza-Israel-Kack-Gemengelage noch länger haltbar machen, kann das das Ziel sein?

Frieden ohne Frostbeulen

„Wofür verwenden Sie denn dann hier Ihre Fördergelder?“, fragen wir nach kurzem Gefrierbrand im Kopf zurück. „Sie wollen doch ausdrücklich die Einfrierung von Konflikten aller Art vorantreiben!“

Klaus Krüss nickt beflissen in seiner Funktion als Marketingchef von Bofrost bei Haselünne, das im Norden an die Samtgemeinde Sögel, im Osten an die Samtgemeinde Herzlake und im Süden an die Samtgemeinde Lengerich grenzt. „Das ist völlig richtig, Frieden schaffen ohne Waffen und ohne Frostbeulen, das ist unser erklärtes Ziel. Auch unser Firmengründer Joseph H. Boquoi will das heute noch. Wissen Sie eigentlich, warum Bofrost Bofrost heißt?“

Wir schütteln schon wieder den Kopf, das wollten wir doch gar nicht wissen, dass das „eine Abkürzung für Boquoi-frost“ ist! Uns interessieren rein die pazifistischen Kühl- und Gefrierelemente der Unternehmensniederlassung hier im niedersächsischen Haselünne an der Hase.

Natürlicher Zerfallsprozess

„Schauen Sie“, sagt Krüss jetzt ganz friedfertig. „Hier, an diesem Fließband, erproben wir seit April ein kompliziertes Einfrierverfahren, das beim partnerschaftlichen Großkonflikt ‚Offene versus geschlossene Zahnpastatube nach dem Zähneputzen‘, den natürlichen Zerfallsprozess beschleunigt und somit den Konflikt kürzer haltbar macht. Bis zu dem Punkt, wo er ganz verschwindet, wo er im Beziehungsleben keinerlei Rolle mehr spielt“.

Wir legen unsere Stirn ungläubig noch stärker in Falten. „Und?“, fragen wir fragend. „Tja“, sagt Klaus Krüss, „ich will mich mal ehrlich machen: Wir sind noch keinen entscheidenden Schritt vorangekommen.“

Mit einem leckeren Bofrost-Speiseeis bewaffnet, rüsten wir uns wenig später für den Abzug der Wahrheit aus „Peace for freeze“ bei Haselünne. Der kalte Krieg geht weiter.

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