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Die WahrheitIm Rausch der Laborreise

Die Deutsche Bahn macht ihre marode Infrastruktur jetzt zum Verkaufsseller. Hotspot und Genusszentrum ist Hövelhof in Nordrhein-Westfalen.

Beim Videocall ins Zentrum der Moderne sollten Reisende immer ordentlich angezogen sein Foto: dpa

Es ist noch früh in Hövelhof, gelegen im Nordosten Nordrhein-Westfalens, in der Mitte Ostwestfalen-Lippes, also im Regierungsbezirk Detmold, und im Norden des Kreises Paderborn. Im überwiegend ebenen Gemeindegebiet ist um diese nachtschlafende Zeit, die frühsommerliche Sonne lugt soeben über die Dächer und Pferdeställe, quasi niemand unterwegs. Naturräumlich liegt die „Sennegemeinde“ in der Senne, der östlichen Teillandschaft der Westfälischen Bucht.

Und hier kommt die Deutsche Bahn ins Spiel: Der Bahnhof Hövelhof ist „das Tor zur Senne“ an den Quellen der Ems, die just nördlich der stark bewachten Grenze von Hövelhof auf Stukenbrocker Gebiet liegen. Hier fährt nicht nur ein Zug, hier schaut gelegentlich die Senne-Bahn vorbei, die Paderborn mit Bielefeld verbindet. Die Senne-Bahn zieht entlang weiterer Fließgewässer, die auf dem Gemeindegebiet von Hövelhof entspringen oder es durchqueren. Es sind dies der Haustenbach, der Knochenbach, der Krollbach, der Kastenbach, der Schwarzwasserbach, der Furlbach, der Holtebach und der Hallerbach. Und ja: Der Ortskern von Hövelhof befindet sich auf 109 Meter Höhe über dem Meeresspiegel.

Was das jetzt mit der Deutschen Bahn und ihrer maroden Infrastruktur zu tun hat? Sehr viel! Das beschauliche Hövelhof ist Hotspot, Versuchslabor und Genusszentrum des darbenden germanischen Schienenwesens. Denn, jetzt kommt es, im ostwestfälisch-lippischen Hövelhof, das rund 16.522 Einwohner zählt und in dem die allseits beliebte und bekannte Fernsehköchin und Ehefrau des Ex-Deutsche-Bahn-Chefs Rüdiger Grube, Cornelia Poletto, aufgewachsen ist, steht ein „Video-Reisezentrum“ der Deutschen Bahn! Es ist sicherlich das wichtigste und schönste der rund 30 Video-Reisezentren in NRW, in ganz Deutschland gibt es Pi mal Schiene 143 davon. Nur in Berlin und Brandenburg gibt es keine, abgehängt diese Bundesländer, Schlusslichter.

Dort, im Hövelhofer Video-Reisezentrum fließt ohne Unterlass und rund um die Uhr eine regionale Genussspezialität, nämlich das Hövelhofer Sennebier, das auch bei Durchreisenden Gefallen findet, sodass sie gern in der Sennegemeinde kürzer oder länger verweilen. Eine Win-win-Situation! Wie aber funktioniert nun ein Video-Reisezentrum? Nun, es sei ganz einfach, behauptet die Bahn, und das stimmt auch, zumindest solange das Videosystem nicht kaputt ist.

Fix- und Lichtpunkt

In Hövelhof, diesem Hort der Ruhe und Beschaulichkeit, in dem es von Pferden nur so wimmelt, funktioniert das Video-Reisezentrum immer! Hövelhof ist Vorreiter einer funktionierenden deutschen Infrastruktur, Fix- und Lichtpunkt von allem. Man muss nur die „Ruftaste“ im Hövelhofer Video-Reisezentrum drücken. Vorher allerdings nicht vergessen: „Videokabine“ anständig angezogen betreten!

Ein „Reiseberater“ schaltet sich dann „per Kamera und Mikrofon auf den Bildschirm“, erklärt die Bahn per Internet. Anschließend die Krönung: „Das Beratungs-/Verkaufsgespräch kann beginnen. Sie können die begleitenden Aktivitäten des Beraters auf einem Monitor neben dem Bildschirm verfolgen.“ An der „Seitenwand des Video-Reisezentrums“ wird final gezahlt. Faszinierend!

Was aber sind die „begleitenden Aktivitäten des Beraters“ in Hövelhof? Verfolgt er oder sie den Brauvorgang des köstlichen Sennebiers in Detmold bei der Brauerei Strate über eine weitere Videokamera? Bereitet sich der Berater vielleicht gerade einen Pauseneintopf vor und lässt einen hier, live im Video-Reisezentrum Hövelhof stehend, daran teilhaben?

Wir wissen es nicht. Nur soviel ist klar und damit wollen wir schließen: Anfang April findet stets im Hövelhofer Ortsteil Espeln das „Espelner Mofarennen“ statt. Darauf ein Sennebier!

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3 Kommentare

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  • Man kann ziemlich gesichert davon ausgehen, dass 99% der Menschen, die zwischen Paderborn und Bielefeld (insbesondere in Hövelhof), freiwillig oder notgedrungen, in einen Zug steigen, mit dem, was man unter "Reisen" versteht, nichts im Sinn haben, sondern bereits auf diesem Streckenabschnitt auch wieder aussteigen. Wenn diese Menschen zu ihrer "Unterstützung" etwas nicht benötigen, dann ist das eine Beratung durch die Deutsche Bahn, die diese Strecke ohnehin nicht bedient.

    Allgemein ist das Auto - wie im ländlichen Raum nicht anders zu erwarten - das bevorzugte Verkehrsmittel. Besucher/Touristen "fallen" dort hauptsächlich aus dem Ruhrgebiet ein (Dauercamper), natürlich mit dem Auto, oder aus den Niederlanden, (auch nicht mit Hollandrädern, sondern) wie "üblich" mit Auto und (Klapp-)Wohnwagen.

    Aber zur Wahrheit gehört auch: Extremisten und sonstige "Abweichler" haben in Hövelhof (bislang noch) keine Chance. Der Gemeinderat wird mit absoluter Mehrheit von der CDU dominiert, gefolgt von den Grünen, der SPD und (man glaubt es kaum) fast gleichauf der FDP. AFD, Bürgergemeinschaften und/oder Linke sind nicht vertreten. Vor 2020 hatte die CDU vor Ort sogar eine Zweidrittel-Mehrheit. Man muss da also (leider!) sehr viel "Schwarz sehen", aber irgendwie schützt offensichtlich genau das (bislang noch) zuverlässig vor dem (inhaltlich braunen) Blau.

  • Der Ems-Radweg ist sehr zu empfehlen, dafür nimmt man doch auch den herberen Charme in Kauf, von den lokalen Germanen der DB behandelt zu werden wie Varus' Scharen damals.

    • @Janix:

      Da ist Steini II vande duplo Bellevue nicht weit! * in Detmold und das schöne unvergessliche Lied als Begleitmusike!



      www.youtube.com/watch?v=d3gZ5SOkICs



      Lippe-Detmold eine wunderschöne Stadt



      Darinnen ein Soldat - Pistorius gewidmet

      Na Mahlzeit