Die Wahrheit: Kraft durch Freunde
Neue Opernpläne für den Grünen Hügel: Wagner soll in Bayreuth nur noch von Antisemiten aufgeführt werden.
Bei diesem Paukenschlag dreht sich Richard Wagner vor Wonne im Grabe um: „Ruhmreich und groß sein Name soll von dieser Erde nie vergehn“, schmettert Siegfried Tann. „Und genau deshalb werden seine Festspiele jetzt völlig neu aufgestellt.“
Ohne Menschen wie Tann läuft nichts auf dem Grünen Hügel, er ist einer der zahlungskräftigen „Gönner“ der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Tann unterstützt seit Jahren den Verein durch „bedeutende Spenden“ und hat sich noch keine „Götterdämmerung“ entgehen lassen. Nun aber sitze das Geld nicht mehr ganz so locker in der Portokasse.
„Letztes Jahr sah man im,Ring' eklatante Lücken in den Saalreihen“, die Inszenierungen erinnerten nicht nur den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) an Drogenexzesse. „Es muss sich dringend etwas ändern“, sagt Tann, „am besten alles.“ Daher hätten sich die „Freunde Bayreuths“ auf einen radikalen Reformkurs verständigt, in enger Absprache mit Land und Bund.
„Richard Wagner kann nur vor dem Hintergrund des Antisemitismus wirklich verstanden und genossen werden“, sagt Siegfried Tann, der eigentlich Tristan Häuser heißt, aber lieber anonym bleiben will. „Wagner war Antisemit, sein Aufsatz,Das Judenthum in der Musik' ist klar antisemitisch. Er hat den Antisemitismus in der Kunstwelt salonfähig gemacht. Deshalb werden künftig die Werke Wagners ausschließlich von Antisemiten und Antisemitinnen zur Aufführung gebracht.“
k.A.
Das sei nur konsequent. Alles andere falle unter den Tatbestand der kulturellen Aneignung, und das könne niemand wollen, das sei gegen den Zeitgeist. „Wir setzen Wagner nicht mehr zusammenhanglos in Szene, im Gegenteil, wir kontextualisieren sein Werk. Wir lassen die betreffende Personengruppe nicht nur an der Aufführung mitwirken, sondern überlassen ihr sogar das ganze Feld. So dienen wir der Aufklärung und leisten einen wertvollen Beitrag für das, äh, spezielle Hochkulturverständnis dieses bedeutenden musikalischen Führers.“
Tann zitiert aus dem genannten Aufsatz. Darin hatte Wagner unter anderem geschrieben, „der Jude“ sei „unfähig, durch seine äußere Erscheinung, seine Sprache, am allerwenigsten aber durch seinen Gesang, sich uns künstlerisch kundzugeben“. Er könne „nur nachsprechen“ oder „nachkünsteln“. „Fremdartig und unangenehm“ sei in seiner Sprechweise ein „zischender, schrillender, summsender und murksender Lautausdruck“.
Siegfried Tann schüttelt den Kopf: „Dagegen ist eine Hakennase in einem Bild von Ruangrupa ja wohl ein Witz.“ Adolf Hitler habe Wagner verehrt und dessen Musik auf Parteitagen der NSDAP spielen lassen. „Hitler war – besonders hofiert von der damaligen Festspielleiterin Winifred Wagner – Dauergast in Bayreuth.“ Bis 1944 habe das Event „Kriegsfestspiele“ geheißen. An diese Tradition wolle man laut Tann nun „ohne Sensibilisierungslücken“ wieder anknüpfen.
Gemurkse
Man erstelle bereits Listen möglicher Ensemblemitglieder. „Eine neue Wagner-Truppe, wenn Sie so wollen.“ Das „Gemurkse“ in der Kulturszene beim Thema Gazakrieg sei „ein ermutigendes Zeichen, dass wir keine Schwierigkeiten haben werden, genügend Leute zusammenzutrommeln“. Tann lacht. „Zum Glück ist Parsifal nicht Schwarz, sonst müssten wir einen Schwarzen Antisemiten finden.“ Auf die verpflichtende Unterzeichnung einer Diskriminierungsklausel wolle man aber verzichten. „Lohengrin singt: Nie sollst du mich befragen! Solch ein Bekenntniszwang funktioniert nicht. Wir setzen auf die Freiheit der Gesinnung.“
Das gefällt Ministerpräsident Söder. Er schreibt im Netzwerk X: „Mein lieber Schwan! Das ist Bayreuths Antwort auf Berliner Wokeness.“ Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) erkennt „ein mutiges Konzept, das aufzeigt, wie Bayreuth weiterhin weltweit Maßstäbe in der zeitgemäßen Auseinandersetzung mit dem Werk Richard Wagners setzen kann. So gehen wir mit einer zukunftsfähigen Vision das 150. Jubiläum der Festspiele im Jahr 2026 an.“ Und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sagt: „Ganz toll. Ich bin ja ohnehin erst über den Antisemitismus zu Wagner gekommen.“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) legt wiederum Wert darauf, dass sich „auch bei den Besucherinnen und Besuchern die Realität unserer Gesellschaft stärker widerspiegelt“. Zu den prominenten Stammgästen zählte bislang etwa Ex-Kanzlerin Angela Merkel. „Die ist spätestens bei der Walküre eingenickt“, beklagt Tann, „mit so jemand gewinnt man keinen Sängerkrieg.“ Er ist zuversichtlich: „Richard Wagner wird endlich wieder das Publikum bekommen, das er verdient.“
KdF
Der Förderverein habe sich nun in „Kraft durch Freunde“ umbenannt und werde künftig auch für den Kartenvorverkauf und die Gästeliste zuständig sein. „Wir setzen auf echte Alternativen, wenn Sie verstehen, was ich meine“, sagt Tann augenzwinkernd. Man denke etwa an Prominente aus der „prachtvollen Welt der hessischen Aristokratie“ (FAZ) wie Astrid Gräfin von Luxburg und ihren Gatten Rüdiger, die bei ihren Frankfurter „Tafelrunden“ gern nach den Rechten sähen. Rüdiger Graf von Luxburg sei Wagner-Kenner, er habe einen Teil seiner Doktorarbeit unter dem Titel „Richard Wagner. Konservativer Revolutionär und Anarch“ herausgegeben. Staatsministerin Roth erklärte, sie habe mit solchen Gästen kein Problem, das entspreche „protokollarischen Gepflogenheiten“.
Festspielleiterin Katharina Wagner hat sich zu den Reformplänen noch nicht geäußert; ihr Vertrag läuft ohnehin 2025 aus. Sie hatte nur stets das Fehlen einer Marketingabteilung für Bayreuth beklagt. „Das ist doch kein Hexenwerk“, verkündete daraufhin der bayerische Wirtschaftsminister Aiwanger wie gewohnt elitenfeindlich, erdverbunden und historisch versiert. „Da druckt man einfach ein paar Flyer.“
Siegfried Tann ist da eher auf der Höhe der Zeit. Er präsentiert eine Instagram-Kampagne auf seinem Smartphone. Vor dem Schattenriss Richard Wagners sind Zitate aus seinen berühmten Opern zu sehen. Tann grinst: „Die meisten Likes hat der Chor aus ‚Lohengrin‘:,Sieg! Sieg! Sieg! Heil! Heil dir, Heil!' “
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen