Die Wahrheit: Knackwurst oder Knast
Sommerjustiz im Freien: Im Frankfurter Goethebad gibt es jetzt das erste Schnellgericht eines Staatsanwalts am Beckenrand. Mit planschendem Richter.
Die Atmosphäre im Frankfurter Goethebad könnte kaum friedlicher sein. Im Nichtschwimmerbecken kraulen barbusige Rentnerinnen – auch einander –, Bürgergeldbezieher mit Tagesfreizeit tauchen nach ihren Spindschlüsseln. Alleinerziehende Mütter und Väter verschwinden rein zufällig in derselben Umkleidekabine.
Ein leichter Windhauch streicht über das kurz gemähte Gras, es duftet nach Frittenfett mit Lichtschutzfaktor 30. Und im flachen Planschbecken dümpelt ein hochadipöser Stammgast, was den Schwimmbadbetreiber freut: „Wenn der drinliegt, sparen wir Wasser.“ Die lieben Kleinen nutzen ihn als einsame Insel. Ein Mittagsidyll mitten in der Großstadt.
Das liegt vor allem aber an Herrn Lottermann. Er ist Staatsanwalt und hat in diesem Sommer „das schönste Büro, das man sich vorstellen kann“ – direkt neben dem Imbiss. „Schnellgerichte“ steht in großen Lettern über den beiden Büdchen. „Hier gibt’s Knackwurst oder Knast, je nachdem“, sagt Lottermann. Er ist der bundesweit erste Jurist, der in einer öffentlichen Badeanstalt „für Ruhe und Anstand“ sorgen soll, indem sogenannte beschleunigte Verfahren direkt vor Ort eingeleitet werden.
„Das ist ganz einfach: Wenn der Finn-Achmed an der Riesenrutsche zum Aslan-Luis sagt, er ficke … “ – Lottermann grinst vielsagend –, „… seine Mudda, also die andere, oder umgekehrt, dann gehen die Hormone mit denen durch. Dann haben Sie eine Keilerei, da bleibt kein Innenfutter trocken. Da müssen Sie sofort hart durchgreifen.“ Lottermann zeigt auf ein Schild, das in seinem Büdchenfenster hängt: „Wer mittags im Freibad durchdreht, der abends vor dem Richter steht.“
Kurzer Prozess
Das Frankfurter Schwimmbadschnellgericht ist ein Pilotprojekt, es gründet sich auf eine Forderung des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann und darf Beschuldigte in sofortiger Verhandlung zu maximal einem Jahr Haft verurteilen. Die Freibadsaison hat gerade erst begonnen, doch Lottermann hat schon reichlich zu tun. In der Arrestzelle warten drei junge Männer auf ihren kurzen Prozess.
„Da ist jeder Fall arschklar“, sagt Lottermann und deutet auf den Mann ganz links, dessen Kopf ein Mullverband ziert, das rechte Auge ist zugeschwollen. „Der hat einen Rückstau am Fünfmeterbrett verursacht, weil er oben plötzlich Schiss bekam, die Null.“ – „Hab ich nicht.“ – „Hast du wohl.“ – „Hab ich nicht.“ – „Schnauze!“
Lottermann seufzt. „Der Zweite hat ins Kinderbecken gepisst. Macht zwar jeder, aber nicht im Stehen. Und der Dritte ist mein ganz spezieller Freund.“ Mit spitzen Fingern hebt Lottermann das Beweisstück hoch: Eine schwarz-weiß karierte Badehose, auf der steht „Arschbomben für Gaza“. Der Staatsanwalt lacht hämisch auf, der Beschuldigte bedeckt seinen Schoß notdürftig mit einem Gästehandtuch. „Da war Stimmung im Laden.“
Für das Schnellverfahren braucht Lottermann keinen Eröffnungsbeschluss, nicht mal eine Anklageschrift ist nötig, auch Zeugen müssen nicht gehört werden, es genügt, Vernehmungsprotokolle vorzulesen.
„Alles ungeheuer praktisch“, sagt Lottermann. „Aslan-Luis sagt, der Finn-Achmed war’s, drei andere nicken, unser Wachdienst schreibt das auf, Karl-Otto drunter, fertig.“ Gegen 18 Uhr erscheine der Richter, „der hatte ja auch einen langen Tag, das geht dann ratzfatz, und danach schwimmt er gerne noch ein paar Bahnen.“
Der Jurist führt einen weiteren Kniff an: „Sind Ausreisepflichtige involviert, und seien wir mal ehrlich, das sind sie natürlich oft, Syrer, Afghanen, da kräht nach einem Köpper vom Beckenrand auch kein Hahn mehr, dann geht’s ruckzuck in Abschiebehaft.“ Lottermann blickt stolz in seinen Laptop. „Hatte ich in den paar Wochen schon elf Mal.“
Seine Bilanz ist so erfolgreich, dass er auch andere Delikte miterledigt. „Gestern hatte ich einen Typen, der hat ein bisschen arg lange am Babybecken rumgelungert, sehr verdächtig. Personalien gecheckt, und halleluja, der hat ordentlich Umsatzsteuer hinterzogen, das haben wir am Abend gleich auch noch abgeurteilt, ein Jahr in den Bau, da hat sich das Finanzamt aber gefreut.“
Eiserner Besen
Auch CDU-Generalsekretär Linnemann ist begeistert. „So habe ich mir das vorgestellt.“ Die Synergieeffekte zeigten, „dass unser Rechtssystem funktioniert“. Nicht nur ein Freibad habe eine Hausordnung, sondern auch „ganz Deutschland“: „Bei uns ist jede Woche Kehrwoche, und zwar mit eisernem Besen“, sagt Linnemann und hebt entschlossen die schmale Faust.
Sein Chef Friedrich Merz, selbst Jurist, plädiert dafür, das Frankfurter Modell bundesweit einzusetzen. Das betreffe rund 2.400 Freibäder. „Für jedes benötigen Sie zwei Beamte im Schichtdienst, das macht einen Personalbedarf von etwa 5.000 Stellen insgesamt.“ Den Vorwurf, die CDU schaffe ein „Bürokratiemonster“ (Bundesfamilienministerin Lisa Paus) lasse er nicht gelten, man müsse vor allem an das Wohl der Kinder und der Familien denken, die sich keinen eigenen Pool leisten könnten. „Unfassbar, aber wahr“, so Merz.
Der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen ist zwar „nicht ganz wohl bei der Sache, aber mit Taschenkontrollen kommen Sie ja nicht weiter, wenn dem Asi bei 30 Grad das bisschen Hirn durchbrennt“, sagt ein Mitarbeiter, der lieber anonym bleiben will. Auf einen kühlen Sommer zu hoffen, in dem „kein Schwanz baden gehen will“, sei keine Lösung.
Es ist später Nachmittag geworden, der Wind frischt allmählich auf. Erwin Lachmann, der Richter, kommt mit wehender Robe auf dem Fahrrad angeradelt. „Die Badehose hab ich schon drunter“, sagt er vorfreudig. Lottermann und er grüßen sich per Handschlag, man ist vertraut. Lachmann schaut kurz auf die Protokolle, noch kürzer auf die drei Männer in der Arrestzelle. „Kinder, Kinder“, sagt er, „nur Scheiße im Kopf.“
Die Urteile sind rasch gefällt. Hausverbote, Sozialstunden, Geldstrafen, dann werden die drei entlassen. Hat das Schnellverfahren bei ihnen ein Umdenken bewirkt? „Weiß nicht“, sagt der eine, „muss erst mal schiffen.“ – „Aber nicht wieder vor den Kindern!“, ruft Richter Lachmann ihm hinterher. Dann wirft er seine schwarze Robe von sich und taucht mit einem überaus eleganten Kopfsprung ins Planschbecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe