Die Wahrheit: Sex mit Halma
Was Mann und Frau wirklich hilft, steht im Weiteren. So viel sei schon mal verraten: Kümmel, eine Insel und kein Autoverkehr spielen auch eine Rolle.
W enn Paare schon solange zusammen sind wie wir, probieren sie gern Sachen aus, die sie sich zu Beginn einer Liebesbeziehung noch nicht getraut haben. Wir spielen Halma. In jeder Ferienwohnung auf Hiddensee befindet sich eine Spielesammlung, im Regal mit den Büchern „Die Spur der Hebamme“, „Das Geheimnis der Pilgerin“ und „Boris Palmer: Wir können nicht allen helfen“.
Wer jetzt nach Hiddensee fährt, ist bereit, Geld auszugeben für keinen Autoverkehr, keine Party, kein Event, kein schönes Wetter und möglichst auch keinen Spaß. Spaß ist oft laut und nicht selten gefährlich. Das kann für die Erholung nicht hilfreich sein.
Dafür wird es ab vier Uhr nachmittags bereits dunkel und kalt. Dann geht man rein, nachdem man vorher vier Stunden im Schneeregen und in völliger Ereignisarmut über die Insel gelaufen ist. Ein paar Kilometer hin, ein paar Kilometer zurück. Immerhin waren meine Freundin und ich schon so oft auf Hiddensee, dass wir auch wirklich gar nichts Neues mehr entdecken konnten.
Wer mag, könnte nun im letzten noch geöffneten Gasthaus zum Gegenwert des Bruttoinlandsproduktes einer mittleren europäischen Volkswirtschaft einen gebratenen Fisch bestellen oder auf den zwei Elektroplatten in der Küchennische des Ferienraums einfach selbst kochen. Allerdings ist es nicht leicht, auf den Kochplatten zwei Töpfe nebeneinander zu stellen, doch ein bisschen Abenteuer am Tag geht in Ordnung.
Mit Spaß gegen die Leidenschaft spielen
An der Halmafront ziele ich brutalstmöglich auf die Zerstörung der Infrastruktur des Gegners ab. Es macht doch viel mehr Spaß, gegen jemanden zu spielen, der mit Leidenschaft dabei ist. Meine Freundin sagt, dass es ihr überhaupt nicht wichtig sei zu gewinnen, will dann aber jedes Mal nicht mehr mit mir spielen und vergleicht mich mit Putin.
Zeit für unsere Lieblingsurlaubsbeschäftigung. Sie hat etwas mit „Mann und Fru“ zu tun, dem Rostocker Kümmel, den ich im Tiefkühlfach deponiert habe. Essen ist die Sexualität des Alters, heißt es. Bei uns gilt: Trinken ist die Erotik des Alkoholikers. Um den Schnapsgenuss jedoch nicht ausufern zu lassen, haben wir eine Regel aufgestellt: Der Kümmelschnaps soll ein Getränk bleiben, dem wir nur an der Ostsee zusprechen. In der letzten Zeit fiel mir allerdings auf, dass die Ostsee manchmal schon nördlich von Magdeburg beginnt.
Könnte es sein, dass wir inzwischen ein risikohaftes Trinkverhalten an den Tag legen? Ich denke nicht. Iwo. Quatsch. Selbsterkenntnis ist nur was für Menschen, die mit der Unwahrheit nicht leben können. Bei genügend Kümmel schnarchen wir recht selig nebeneinander ein.
Am Tag der Abreise warten wir schließlich am Kai von Vitte auf die Fähre nach Schaprode und sehen in die Gesichter von Menschen, die sehr wenig erlebt haben. Man darf sich uns als erholte Menschen vorstellen. Mit etwas Sodbrennen und einem leichten Kater.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Wirtschaft im Wahlkampf
Friedrich Merz und die Quadratur des Kuchens
Ministerpräsidentenwahl in Sachsen
Der Kemmerich-Effekt als Risiko