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Die WahrheitEin Sonntagabend im Haus Fischer

Ob First- oder Second Screen, ob Blutregen im handlungsfreien „Tatort“ oder Durcheinandergebrülle auf X-Twitter: Da hilft auch kein Sofa mehr.

Erbarmen!“ flehte der „Tatort“, und obwohl ich eigentlich schon lange kein Fall mehr für den Sonntagabendkrimi bin, gab ich nach. Ich war zu faul, um nach den Nachrichten vom Sofa wieder aufzustehen.

Was dann kam, lässt sich mit Worten nur unzureichend wiedergeben. Unter Riesenverschwörungen geht im Deutschen Fernsehen gar nichts mehr, und der Mörder ist nicht mehr der Gärtner, sondern meist der Polizist. Alles drumherum wird möglichst schwammig gehalten. Warum, wozu man sich verschwor, woher containerweise illegale Waffen stammten und warum alles im Dunkeln stattfand – vielleicht hat man versucht, einen Kunstverdacht herzustellen?

Dafür hatte man schon mal jeglichen Ansatz von Handlung weitgehend eliminiert. Außerdem wurde heftig geraucht in dem Film; das spricht auch für wahnsinnig mutiges, unangepasstes Kunstverdachtsfernsehen. Ich habe allerdings nur so lange hingeschaut, bis ich rausgefunden hatte, welcher Polizist von Franz Dobler gespielt wurde, dann war Second-Screen-Time, während der Liebste in seiner Sofaecke nun tapfer für zwei leiden musste.

Aber Second Screen macht auch keinen Spaß mehr. Auf „der Plattform X (vormals Twitter)“, wie jetzt überall gebetsmühlenartig wiederholt wird, herrschte wie immer ekliges Durcheinandergebrülle, dem ich entnehmen konnte, dass Alice Weidel findet, Bernd Höcke (ehemals Björn) habe sich gut entwickelt. Zu was, warum und mit wem? Keine Ahnung. Ihr Buddy Chrupalla (immer schon Chrupalla) war ihr dagegen im Mai nicht patriotisch genug, weil er den Tag der deutschen Kapitulation mit den Russen gefeiert hat.

Einen Krimsekt – oder zwei

Dieser Tag wird im Hause Weidel nämlich nicht begangen. Man feiere nicht die Niederlage des eigenen Landes mit einem Besatzer. Womit Weidel das Dritte Reich nebenbei zu ihrer Heimat erklärt hätte. Darauf einen Krimsekt! Oder zwei, falls auch Weidel eines Tages kapitulieren sollte.

Das Umschalten zum Radio half mir nicht weiter. Da wurde in einem Gedenkbeitrag zum Putsch in Chile Salvador Allende als „charismatischer Hornbrillen- und Schnauzbartträger“ bezeichnet. Ja, das ist gewiss das Wichtigste, was man über ihn wissen muss. So wie bei Putin, dem verbrecherischen Nase-im-Gesicht-Haber, und bei Trump, dem trumpigen Baseballmützenträger. Und schließlich auch bei Weidel, der unsympathischen Kostüm- und Duttträgerin.

Inzwischen ging auf dem First Screen ein Blutregen nieder und traf hochsymbolisch eine kreischende Partygesellschaft junger reicher Nichtstuer. So platt geht es zu im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Erbarmen! Danach kam, wie immer, das eklige Durcheinandergebrülle bei Anne Will.

Doch sagte dort Ex-Piratin Marina Weisband, Antisemitismus sei nicht ein Problem jüdischer Gemeinden, sondern der gesamten Gesellschaft. Und das war das Klügste, was ich an diesem langen Medienabend gehört und gesehen hatte.

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Susanne Fischer
Autorin
Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)
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