Die Wahrheit: Der Seuchenmann
Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Karl „Kunstfehler“ Lauterbach, approbierter Health-Apostel.
„Es gibt keinen Politiker, der so viel Lauterbach ist wie ich, und keinen Wissenschaftler, der so viel Lauterbach ist“, erklärte, nach Karl Lauterbach befragt, Karl Lauterbach 2020 irgendeiner Süddeutschen Zeitung, ohne zu ahnen, dass bald noch mehr Lauterbach sein würde: Seit Dezember 2021 hatte das Coronavirus nicht nur den Mediziner Karl Lauterbach, sondern auch den frisch erzeugten Minister Karl Lauterbach bis zum Hals von Karl Lauterbach im Griff, und das in einer Person.
Fortan verbrachte Karl Lauterbach sein hohes Leben als Wissenschaftler und sein breites Denken als Politiker inmitten der Talkshows der Rundfunkanstalten und etwas schmaler in den Spalten der Zeitungen. Heute erinnert sich kaum noch jemand an diese Epidemie; sie ist vergessen wie die 127.000 Opfer, die während der „pandemischen Lage von nationalem Karacho“ (so das offizielle Sprachkorsett) still und ohne Gedöns in Beutel gepackt und entsorgt wurden. Die Stallpflicht für Kinder und Jugendliche ebenso wie die Vorschrift, sich obenrum zu maskieren – vorbei, Corona ist die Luft ausgegangen. Die nächste Seuche kann kommen. Oder die alte pumpt sich noch einmal auf, egal.
Kurze Zeit sah es so aus, als wollten im Sommer 2022 die Affenpocken die restliche Arbeit erledigen, und die Presse drehte schon auf. Doch die Hoffnung verpuffte, so schnell sie hochgeschossen war. So bleiben einstweilen nur Spekulationen, welche alten oder aufregend neuen Bazillen und Keime die Menschheit ausfindig machen und ausstreichen könnten. Vielleicht ein Virus, das aus dem Gesicht einen ungeschminkten Hintern macht? Oder ein Prion, das das Gehirn in Haferschleim verwandelt? Der sich sogar in der entstehenden Kreislaufwirtschaft in Pflegeheimen gut vermarkten lässt? Wem das zu makaber wäre: natürlich nur, solange dort der Vorrat reicht.
Bis es also so weit ist, kann sich Karl Lauterbach weniger ranzigen Themen zuwenden. Ursprünglich schwarz infiziert, hatte den Mediziner 2001 die SPD geschluckt, die ihn noch während der Inkubationszeit in die Rürup-Kommission entsandte: die, so die korrekte medizinische Terminologie, „Kommission zur Untersuchung der Nachhaltigkeit einer Kommission zur Finanzierbarkeit einer Operation an den Sozialen Sicherungssystemen innerhalb der Kommission“.
Das war 2003
Das war 2003, und nach weiteren zwei beschwerdefreien Jahren war die SPD bereit, Lauterbach in den Bundestag zu überweisen. Er ahnte nicht, dass er wie normale Patienten 18 Jahre im Wartezimmer hocken würde. Viele gehen zugrunde, manche vertrocknen in der staubigen Luft, Lauterbach aber hielt durch, hielt sich durch Reden wach. Als Katholik und Vater von fünf Kindern war er Kummer und Freude gewohnt; im Hohen Haus war es nicht anders, er predigte und redete, und der Einzige, der hörte, war er selbst. So ward aus Kummer Freude – und also redete er noch mehr.
Wem in der modernen Medizin sein Leben lieb ist, braucht Resilienz – Karl Lauterbach hat sie, als approbierter Arzt das richtige Parteibuch und als approbierter Politiker die richtigen Examen: Die hatte er auf Universitäten in Aachen, Düsseldorf und den USA eingesammelt, dazu Bücher auf Deutsch und Aufsätze in internationaler Sprache ausgesät, um schließlich als der Lauterbach des Kölner Instituts für klinische Epidemiologie und Gesundheitsökonomie die Ernte abzufüllen und einzupacken.
So weit die Anamnese. Die Diagnose: Die Kassen der Krankenversicherungen sind leergesaugt, das Personal in den Pflegeheimen mit den Nerven bis auf die Knochen runter; vergiftet wird die Lage in den Hospitälern dazu wegen des Überangebots an Betten, die manche Patienten schon als Zweitwohnsitz angemeldet haben.
Wurst, Käse, Kaffee
Die Therapie: Der Politiker Dr. Karl Lauterbach und der Mediziner MdB Karl Lauterbach schnüren gemeinsam – so viel Faktentreue muss sein – das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz, das Gesetzliche-Krankenversicherungs-Finanzstabilisierungsgesetz sowie das Riesenbandwurmwortwörtergesetzesgesetz. Auch soll künftig kein Dorfkrankenhaus, das nur über Schere, Zange und Handbohrer verfügt, noch Herztransplantationen durchführen müssen, stattdessen werden alle Kliniken in drei Klassen eingenordet: a) Wasser und Brot, b) Wurst, Käse und Kaffee, c) Sekt und Kaviar. Bettengröße und Bedienung entsprechend.
Lauterbachs persönlich ausgefummelter Plan sah anderes vor. Eigentlich sollten die Kliniken nach Größe und Gewicht der Erkrankungen sortiert, vor allem aber die gesetzliche und die private Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung verschmolzen werden, die allen übergestülpt wird. Doch es ist sonnenklar, dass sich Letzteres im Parlament nicht gegen die besser zahlenden Vertreter der Privaten durchsetzen kann. Da wird selbst der Politiker Lauterbach dem Mediziner Lauterbach nicht helfen können!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland