Die Wahrheit: Slash durch die Metal-Brille
Zum Beginn des Festivals in Wacken 2023: Eine Reminiszenz, wie das alles mal begann in den achtziger Jahren mit dem Metal-Wahn in Deutschland.
S chicht, Hitte, Pohlmann und die anderen waren eine Gang vom konkurrierenden Otto-Hahn-Gymnasium. Hier gingen die Schlauberger der Kreisstadt zur Schule. Für das ganze Kroppzeuch aus der niedersächsischen Steppe drumherum, also uns, wurde eine eigene Verwahranstalt in den Suburbs gegründet, das Humboldt-Gymnasium.
Wer das OHG besuchte, durfte sich also urbaner vorkommen, und war es auch. Zwar schien Gifhorn mit Begriffen wie Metropole oder Moloch nicht wirklich treffend beschrieben, aber in den analogen Achtzigern kamen hier Neuigkeiten trotzdem ein paar Monate früher an als bei uns auf den Dörfern.
Und so saßen wir vermutlich in irgendeiner Bushaltestelle und arbeiteten uns an der letzten Viererreihe Mai-Urbock ab, damals im September 1987, während Schicht, Hitte, Pohlmann und die anderen auf dem Weg in die Hamburger Markthalle waren, wo zwei vor Lebensgier dampfende Garagenbands die Hütte abfackelten. Dass sie etwas wirklich Historisches erlebt hatten, wurde den Konzertgängern allerdings auch erst im Jahr darauf ganz klar, als MTV das Video zu „Sweet Child O’ Mine“ einmal pro Stunde sendete. Und zwar wochenlang.
Damals, im September 1987, hatte man gar nicht unbedingt Guns N’ Roses, sondern ihre Vorgruppe Faster Pussycat zur originelleren Aerosmith-Kopie und also zum Gewinner des Abends gekürt. Die Geschichte war eben noch im Fluss und die Markthalle gerade mal halb gefüllt. Weil die Plattenverkäufe so schleppend anliefen, hatte sich das Geffen-Label für den kurzen Europatrip ihrer Band außerdem noch eine kleine Schikane ausgedacht und an den Roadies gespart. Die Musiker mussten ihre Marshalls selbst schleppen.
Da Schicht, Hitte, Pohlmann und die anderen ohnehin nicht wussten, was sie mit dem angebrochenen Abend anfangen sollten, sprangen sie kurzerhand auf die Bühne und halfen mit. Einträchtig buckelten jetzt also Jungs aus Gifhorn und Los Angeles Verstärkertürme in den Laster. Und weil das alles so harmonisch Hand in Hand ging, dehnte man die Zusammenarbeit auf die Alkvorräte im Backstageraum aus. Das hätte der Beginn einer wunderbaren deutsch-amerikanischen Freundschaft sein können, aber irgendwann ließ sich die Putztruppe der Markthalle nicht mehr abwimmeln. Also kam es zu fast schon rührseligen Abschiedsszenen. High Fives, Rubbelnüsse, Ohrläppchengezupfe, alles dabei. Pohlmann, aus dem später ein bekannter Sterne-Koch in einer Pufferschmiede im Hannoverschen werden sollte, witterte seine Chance. Er zeigte auf Slashs schwarzen Nasenquetscher, den der schon damals nie absetzte, und fragte: „Can I have your brill!“
Der später sehr berühmte Slash verzog keine Miene und antwortete mit einer sonnigen Gelassenheit, die man nur am Sunset Strip erlernen kann und die keiner der Anwesenden jemals vergessen wird: „No.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!