Die Wahrheit: „Radler trinke ich am liebsten!“
Neue Maßstäbe an die Straßenaufteilung: Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) greift endlich gegen Fahrradfahrer durch.
Und sie bewegt sich doch! Endlich, nach Jahren des rot-grün-roten Stillstands, wird Berlin nun doch noch zu einer modernen Metropole. Der neue Senat ist frisch im Amt, da werden schon knallharte Ergebnisse zum Wohle der Stadt präsentiert.
Die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) stellte sich mutig dem drängendsten Mobilitätsproblem entgegen und ließ umgehend, nachdem sie nach nur sechswöchiger Einarbeitungszeit ihr Büro gefunden hatte, folgende Order zur Umsetzung von geplanten Radwegen an die Bezirke der Stadt schicken („Priorität hoch“): „Die neue Hausleitung unserer Senatsverwaltung wird künftig andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen […] Wir bitten um vorübergehende Aussetzung der Umsetzung von angeordneten Projekten, welche den Wegfall von einem oder mehr Fahrstreifen zur Folge haben und/oder den Wegfall von Parkplätzen (der Wegfall eines Stellplatzes reicht schon aus).“
Erwartungsgemäß gibt es einen Aufschrei der Radfahrer-Lobby, die es seit Jahren gewohnt ist, Berlin in ihrem eisernen Griff zu halten. Aber Manja Schreiner schreckt nicht davor zurück, sich auch mit dem mächtigen Gegner anzulegen. Und das nur, um den Unterdrückten und Schwächsten in der Stadt, also den Autofahrern, endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wie sie uns bei einem Hintergrundgespräch eindringlich versichert.
Denn lange schon, so Schreiner, stöhnen die Berliner unter dem Terror der Radfahrer, die kreuz und quer durch die Gegend sausen, mit ihrem Schweißgeruch die Luft verpesten und mit ihrem ständigen Geklingel und Geschrei für erhebliche Lärmbelastung sorgen.
Rücksichtsloser Krach
„Gleich drei Mal haben mich Radfahrer gestern so laut angeschrien, dass ich es noch durch die geschlossenen Fenster in meiner schallgedämpften Fahrerkabine hören konnte: ‚Hey, du hast mir den Weg abgeschnitten beim Rechtsabbiegen!‘ Was das immer für ein Krach ist“, empört Schreiner sich, „es ist so rücksichtslos! Das ist auch den Anwohnern an Fahrradwegen wirklich nicht länger zuzumuten.“
Das wichtigste Problem aber, erläutert Schreiner, sei der fehlende Raum für den motorisierten Individualverkehr. „Sie lassen einem ja kaum noch den Platz, den Range Rover irgendwo ordentlich abzustellen“, klagt Schreiner, „dabei bemühen sich viele Verkehrsteilnehmer in Berlin wirklich nach Kräften, möglichst jeden Weg mit dem Auto zurückzulegen, um in Eigeninitiative die prekäre Parkplatzsituation zu entlasten. Ich selbst fahre da mit gutem Beispiel voran. Aber so traurig es ist: Irgendwann muss man nun mal auch aussteigen aus dem Auto, und dann weiß man einfach nicht, wo man es hinstellen soll, weil schon wieder wertvoller Parkraum für irgendeinen Fahrradweg abgepollert worden ist.“
„Wissen Sie“, erklärt Schreiner uns weiter, „es ist ja nicht so, dass wir uns keine Gedanken gemacht hätten. Der Entscheidung über den Stopp des weiteren Baus von Fahrradwegen liegen eingehende Untersuchungen zugrunde. Unser Forschungsteam hat in einer aufwändigen Studie ermittelt, dass viele Radverkehrsanlagen nachts oft nur wenig bis gar nicht genutzt werden. Steht derselbe Raum dagegen als Parkplatz zur Verfügung, ist er rund um die Uhr zum Nutzen der Menschen im Einsatz. Selbst nachts um drei, wenn lange schon kein einziger Fahrradfahrer mehr über einen der zahllosen Fahrradprachtboulevards dieser herrlichen Stadt fährt, ist noch wirklich jeder einzelne Parkplatz voll ausgelastet. Dieses Missverhältnis konnten wir einfach nicht mehr länger tolerieren.“
Manja Schreiner ist angetreten, endlich eine unideologische Verkehrspolitik in Berlin durchzusetzen. Alles muss auf den Prüfstand, um die neuen Maßstäbe in der Straßenaufteilung zu setzen. So ist es Schreiner schon lange ein Dorn im Auge, dass auf Bürgersteigen oft sehr viel Platz vergeudet wird, weil er von den Fußgängern nicht beansprucht wird.
„Ich habe bei meinen Autofahrten durch die Stadt mehrfach gesehen, wie mitunter ganze Bürgersteigbereiche so wenig genutzt werden, dass dort schon Fahrräder abgestellt wurden. Die stehen da einfach auf dem Bürgersteig! Manchmal gibt es sogar bauliche Konstruktionen dafür, sogenannte Fahrradständer. Was das an Platz verschlingt! Dabei könnten auf dem Raum, den so eine Fahrradschließanlage einnimmt, oftmals gut und gerne zwei Autos parken. Da wollen wir ran!“, verrät die Senatorin ihre ehrgeizigen Pläne.
Schließlich gebe es auch gar keinen Grund, Fahrräder draußen herumstehen zu lassen: „Die werden doch sowieso nur geklaut, und man kann so ein Rad ja auch ganz problemlos einfach mit in die Wohnung tragen. Probieren Sie das mal mit einem SUV!“, lacht die Senatorin, „merken Sie selbst, oder?“
Notwendige Autos
Den Einwand, dass das doch sehr unpraktisch sei, lässt Schreiner nicht gelten. „Ich habe ja nichts gegen Fahrräder. Einige meiner besten Freunde haben Fahrräder. Damit können sie ja auch gerne irgendwo auf dem Land ein bisschen herumradeln. Oder besser noch auf einer Radrennbahn, da stören sie niemanden. Aber es gibt nun mal auch Menschen, die arbeiten gehen, die dafür sorgen, dass der Laden hier läuft. Und die brauchen nun mal ihr Auto, um von der Wohnung zum Arbeitsplatz zu kommen. Die können es sich schlicht nicht erlauben wie all die Fahrradfahrer, den ganzen Tag freizumachen und sinnlos zum Spaß durch die Gegend zu radeln.“
Und schließlich, führt Schreiner noch an, müsse es bei politischen Entscheidungen immer auch um die Verkehrssicherheit gehen. „Immer wieder passieren ja Unfälle mit Radfahrern“, sagt die patente Senatorin, „dabei kommt es sogar regelmäßig zu Lackschäden an den darin verwickelten Autos. Dem können wir nicht länger einfach tatenlos zusehen.“
Die neue Hausleitung der Senatsverwaltung wird künftig eben andere Maßstäbe an die Straßenaufteilung setzen. „Ein Radler“, erklärt die sichtlich schon etwas angeheiterte Schreiner, „ein Radler ist letztlich doch das, was man trinkt, wenn man im Sommer mit dem Auto in den Biergarten fährt. So viel Verantwortungsbewusstsein muss man als Autofahrer schon aufbringen. Aber damit ist es dann auch gut, mehr Radler braucht kein Mensch.“
Entschieden trinkt sie ihr Glas leer, winkt den Kellner heran, bezahlt fünf Radler und wankt zu ihrem Auto, um Feierabend zu machen. Beim Rechtsabbiegen drängt sie noch einen Radfahrer in die Büsche, dann ist ihr Tagwerk endlich vollbracht.
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