Die Wahrheit: Lord of the Niederlagen
Wo verliert es sich am besten? Jenseits von sportlichen Misserfolgen in der Kindheit und künstlerischen Eskapaden: eindeutig bei Gesangswettbewerben.
N icht mehr so für Wettbewerbe bin ich, seit ich mit siebzehn Jahren im Skirennen gegen meinen kleinen Bruder verloren habe. Seitdem bin ich auch nicht mehr so fürs Skifahren, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls habe ich damals bei der Siegerehrung versucht, vornehm zu gucken und vorzugeben, dass Siege lächerlich sind und gar nichts bedeuten, was mir mit siebzehn genauso wenig gelang wie heute, obwohl ich inzwischen eine jahrzehntelange harte Lehrzeit als HSV-verliebte Gelegenheitsfußballguckerin absolvieren musste.
Während es beim Sport immerhin um messbare Ergebnisse geht (obwohl sich die Skilehrer damals bestimmt vermessen haben), leuchten mir Wettbewerbe in der Kunst noch weniger ein. Den Bachmann-Preis habe ich zum Beispiel nicht gewonnen, was gewiss sehr ungerecht ist. In Sachen bildender Kunst kann ich immerhin einen Teddy präsentieren, den ich mir vor einem halben Jahrhundert beim Bärenmarke-Malwettbewerb erzeichnet habe.
Danach hielt ich mich so lange für begabt, bis die Kunstlehrerin die tolle Idee hatte, alle Bilder aus der Klasse zum Thema „Grundfarben“ von der Klasse selbst bewerten zu lassen in Form eines Rankings. Nie wieder wollte ich mit meinen Mitbeschulten sprechen, was sich allerdings nur bis zum nächsten Tag durchhalten ließ. Dass die Lehrerin ihr Erbarmen in Form einer Dreiminus ausdrückte, hat die Demütigung nur vergrößert.
Demütigung: Da kann ich recht elegant überleiten zum Eurovision Song Contest, ehemals Grand Prix d’Eurovision. Es beweist einen gewissen ironischen Mut, mit einer Band namens „Lord of The Lost“ in einem Wettbewerb anzutreten, bei dem man es in den letzten drölfzig Jahren nicht einmal bis zur Dreiminus gebracht hat. Noch bin ich nicht verzweifelt genug, mir diesen Quatsch stundenlang im Fernsehen anzugucken, aber nachdem ich gehört hatte, dass das Publikum sich beim Vorentscheid gegen die Fachjury durchgesetzt hat, war ich doch neugierig auf die Sieger, und genau dafür hat ja der liebe Gott Youtube erfunden. Was soll ich sagen, die Gruppe kommt aus Hamburg und trägt hässliche rote Hosen.
Alles und durch den Wolf gedreht
Falls „Lord of the Lost“ es mal bis ins Hamburger Volksparkstadion geschafft haben, wissen sie vielleicht, wie es ist, im Vorentscheid noch was zu reißen, um danach gnadenlos unterzugehen. In ihrem Fall mit langweiliger Musik, zu wenig Stimme für das offensichtlich intendierte Gänsehautfeeling und überinstrumentiertem Krach. Das klingt wie vor zehn bis zwanzig Jahren schon hundertmal gehört und nochmal durch den Wolf gedreht, aber vielleicht ist das ja genau das, was verlangt wird?
Was weiß ich schon, Metal-Metal-Metal ist nicht meine Musik und so weiter und so fort. Den Eurovision-Fans wünsche ich viel Spaß beim Gucken der Mutter aller Niederlagen. Ich gehe dann mal in Ruhe woanders verlieren.
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