Die Wahrheit: Das verhinderte Handkemenge
Beim Flanieren in Nottuln entdeckt: Ein berühmter Schriftsteller sitzt rauchend an einem Tischchen und beklagt sich über den Krach.
N eulich nachts war ich mit dem Münsteraner Verleger Roland T. (der vollständige Name Roland Tauber ist der Redaktion bekannt) in Nottuln unterwegs. Ich wollte in eine Geisterbahn gehen und freute mich schon sehr darauf, aber Roland T. behauptete plötzlich, in einem Einkaufszentrum, das Nottuln benachbart lag, dringend noch etwas besorgen zu müssen. „Der will sich doch nur vor der Geisterbahn drücken“, dachte ich. Aber es war, wie es war, und ich konnte jetzt auch nichts mehr daran ändern.
Während der saubere Herr T. also wie von der Tarantel gestochen in einem Einkaufszentrum verschwand, flanierte ich eine großzügige Nottulner Straße entlang, die links und rechts von herrlichen Altbauten mit sagenhaft schönen Balkonen gesäumt war. Jeder dieser Balkone sah aus wie ein Park mit wundervoller Flora, und auf einem planschte sogar ein arrogant wirkender Flamingo in einem nicht minder arrogant wirkenden blauen See.
Gerade überlegte ich mir, wie toll es sein müsse, in einem solchen Haus mit Balkon zu wohnen, da erscholl ein ohrenbetäubender Krach, der sich als Dialog zwischen einer jungen Frau und ihrem Vater entpuppte, die sich darüber stritten, ob Oma Gertrud zu Hause sei oder nicht. Der Vater sagte, sie solle gefälligst einfach nachsehen, die junge Frau beharrte aber darauf, dass sie das keinesfalls nötig habe, und der Vater solle doch selbst nachsehen.
Weil mir die Lautstärke dieses Zwistes seltsam vorkam, ließ ich meine Blicke über die Fassade des Hauses, vor dem ich stand, schweifen und entdeckte eine kleine weiße Plastikbox, offensichtlich ein Lautsprecher, und ich verstand, dass der seltsame Streit vom Band kam. Im Vorgarten des Hauses saß an einem Bistro-Tischchen ein Mann, der rauchte und Roséwein trank. Ich sprach ihn an und fragte, ob das häufiger vorkäme, also das mit dem Streit vom Band. Da sprang er auf und kam an den Jägerzaun und klagte: „Immerzu, jeden Tag drei oder vier Mal – tagein, tagaus. Es ist wirklich kein Spaß, hier zu wohnen.“
Er trug eine Jeans und ein auberginefarbenes Batik-T-Shirt, das etwas zu groß war, und auf einmal erkannte ich, dass ich es hier mit Peter Handke zu tun hatte. Und während er sich noch beklagte und dabei einen beeindruckend eleganten Tanz aufführte, kam Roland T. aus dem Einkaufszentrum, um mich abzuholen. Da streckte Peter Handke ihm seine Hand zum Gruß entgegen, doch Roland T. wollte sie nicht schütteln, und je heftiger er sich weigerte, desto zorniger wurde Handke. Er fragte Roland T. immerzu, ob dieser Kinder habe.
Ich befürchtete, dass es bald zu einem Wortgefecht oder zu einem Handkemenge kommen würde, wusste aber nicht genau, was ich dagegen unternehmen sollte. Zum Glück wurde ich in dem Moment wach. Die ganze Angelegenheit ist mir im Nachhinein noch immer extrem unangenehm.
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