Die Wahrheit: Der Amseln Mittagsschlaf
Kann es sein, dass sich ein neues Phänomen in der Vogelwelt breit macht? Die sonst so lauten Gesangsterroristen sind plötzlich still, ganz still.
I ch mein verständlich, dass sich meine wackeren Eltern nach einem deliziösen Apfelstrudel on the rocks und einer klitzekleinen Eisbombe à la mexicaine der Verdauungsruhe bis zirka 15.29 Uhr anheimgeben. Aber was ist bloß mit unseren Amseln los?
Stiefele ich auf Grund einer seit Jahren eskalierenden Schlafscheiße (Insomnie) morgens um sechse runter, um die nachgewiesenermaßen allerunnötigste und allerdümmste Tageszeitung der nördlichen Hemisphäre, die Nürnberger Nachrichten, aus der Röhre am Hoftor zu fischen, dackeln sie schon daher, diese Amseln, diese Quälgeister. Acht, neun Mann und Frau stark, hüpfen und kreiseln sie vor der Haustür herum, plärren und zetern und plaudern ja auch recht brav bisweilen untereinander, so in der Art: „Ah, da is er ja wieder, der olle Esel, jetzt gibt’s ordentlich was auf die Kelle!“
Einmal im Sommer rissen mich diese nimmersatten Affen gegen fünf sogar aus der Finalphase eines likörsüßen Albtraums. Das Fenster stand offen, und draußen war Wacken: Jeremiaden from hell, von der diese areligiösen Kreaturen ja keine Ahnung haben! Kommandos wie am Hindukusch, obwohl diese ordinären Ornis im Leben noch keinen Brunnen gebohrt haben! „Wir haben Hunger! Alter, mach hin!“
Und ich gehorchte auch noch, statt diesen gefiederten Gesangsterroristen Bescheid zu stoßen und Manieren beizubiegen.
Nun verständlich, die von meiner Mutter in Rapsöl leicht angerösteten Haferflocken schmecken wohl gar zu gut. Rechtfertigt das indes den permanent-impertinenten Zirkus, die unschicklichen Belagerungen unserer Heimstatt, das propagandistische Gelärme in eigener Sache? Amsel und Anstand? Forget it.
Seit einiger Zeit mache ich allerdings eine erstaunliche, eine erfreuliche Beobachtung. In der Frühe und den ganzen Nachmittag hindurch, wie gesagt, nix als Krawall, Randale und Radau, inklusive sehr putziger Raufereien rund um die von mir vor der Garage großzügig hingehäufelten Leckereien.
Meine Mutter meint, die Säcke spielten halt gern, so kann man wirklich alles verharmlosen. Doch vor drei Wochen habe ich aus Zufall gemerkt, dass um die Tagesmitte herum regelmäßig totale Ruhe herrscht. Kein Geschnatter, kein Tixen, kein Amselgekrähe.
Im alten Pflaumenbaum gammeln ein paar Schwarzröcke herum, andere hocken unter den Büschen. Vollkommene Stille. Halten unsere Amseln nunmehr Mittagsschlaf? Und wenn ja – warum?
Schauen sie neuerdings ab zwölf Uhr Nachrichtenfernsehen? Und sind darob ob der endlosen Interviews mit Anton „Banzer“ Herrenhofreiter, Roderich „Nuklearwinter“ Kiesewetter und Mao-Akne Stramm-Holzhobel jedes mal rasch derart geplättet, dass sie in Morpheus’ Arme flüchten? Mit der zusätzlichen Hilfe von ein, zwei Hefeweizen? Gleich mir?
Ach, sie sind mir so lieb, unsere Amseln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen