Die Wahrheit: Mein Küchenempfangsgerät
Die alte Küche wärmt nicht nur die kalten Finger, sondern auch das Herz, wenn plötzlich aus der Röhre Zärtliches erklingt.
N eulich war mir kalt, auch ich versuche, Energie zu sparen. Um mich aufzuwärmen, hielt ich morgens zärtlich meinen rechten Zeigefinger in die langsam aufkochende Milch, die sich im „Emailtopf“ auf dem ollen Elektroherd befand.
Vor dem stand letztens die Tochter einer Freundin, wollte wissen, was das sei. Zirka elf Jahre ist sie alt. Ich so: „Ein Elektroherd.“ Sie so: „Und was machen die komischen großen schwarzen Knöpfe da oben drauf?“ Ich erklärte ihr, dass es sich, auch wenn die „Platten“ durch 23-jähriges Wohnen in der Mietwohnung leicht verkohlt seien, um sogenannte Kochplatten handle, auf denen man durchaus „etwas zaubern“ könne. Sie nickte andächtig mit dem Kopf, dann setzte sie mir altersgerecht altklug die Vorzüge eines „Zebrakochfelds“ auseinander, sie meinte wohl „Cerankochfeld“.
Ihr sprachliches Vertun kann ich verstehen, stand ich doch beim Erwerb besagten „Emailmilchtopfs“ vor ihm und dachte: „Was bloß hat eine Email mit einem Topf zu tun?“, und dann: „Muss ich jetzt ins Netz zum Milchkochen?“
Erst nach längerem Verweilen in meinem Lieblingswarenhaus, das bald von einem grausamen österreichischen Großinvestor geschreddert werden wird, und nach vielmaligem Lesen des Wortes „Emailtopf“ wurde mir klar, dass es sich beim ersten Wortteil um eine Masse handelt von „anorganischer Zusammensetzung, meist aus Silikaten und Oxiden bestehend, die durch Schmelzen, Fritten oder Sintern in meist glasig erstarrter Form hergestellt wird“, wie Wikipedia weiß, danke dafür.
Doch eigentlich wollte ich hier auf anderes hinaus in unserer komplett verwohnten Kuchl mit der rund 30 Jahre alten Einbauküche, Marke Bauhaus ausgemustert. Immerhin ließen sich einst in Berlin Wohnungen mit Kuchl inklusive mieten. Das waren noch Zeiten, und damals gab es auch schon Probleme.
Vor 30 oder 40 Jahren gab es auch sehr schöne Radioempfänger, die in Küchen wohnten, auf Anrichten, Tischen oder wackligen Klappstühlen. Und diese klobigen, silbrig- oder schwarzglänzenden Ungetüme besaßen meist ein Kassettendeck. Gegeben wurden selbst aufgenommene Hitparaden angeschlossener Funkhäuser, ächzende und gefühlt quarzende Leonard-Cohen-Kassetten, die irgendwann unter Tränen in einem Bandsalat endeten – und Pumuckl. In meiner Küche steht noch ein solcher Radioempfänger mit Kassettendeck, von meiner Oma mütterlicherseits selig habe ich ihn geerbt. Ich halte ihn in Ehren, auch seine Aufkleber. Das Kassettendeck klemmt leider seit zwölf Jahren.
Dafür hat er mich letztens mit Rockröhre Suzi Quatro beschallt, als ich seinen Einschaltschalter links außen nach oben zog. Eigentlich ist er stets auf Deutschlandfunk geeicht. „Stumblin’ In … our love is alive“, tönte es plötzlich aus meinem Küchenempfangsgerät – es war ein ähnlich zärtlicher Moment, wie der mit dem Zeigefinger in der langsam aufkochenden Milch. Der Winter kann kommen.
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