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Die WahrheitLost & Found

Tagebuch einer Hingeberin: Wenn irgendetwas Wichtiges wie das Portemonnaie verloren geht, schickt das Universum regelmäßig Rettung.

N eulich, an einem der letzten warmen Abende, aß ich mit einem Freund draußen beim Italiener in meinem Haus; anschließend verbrachte mein prall mit Portemonnaie, Ausweisen, Kreditkarten und Handy gefüllter Rucksack die Nacht am Terassenzaun hängend und buhlte gut beleuchtet um Aufmerksamkeit. Ein Nachbar erbarmte sich seiner am Morgen und vereinte uns, bevor ich den Verlust bemerkt hatte. „Wow, safe neighborhood“, staunte der Freund, aber ich weiß es besser: Das Universum liebt mich.

Die Spur verlorener Dinge, die sich hinter mir herzieht, ist endlos. Flughafenpersonal keuchte Reisepässe schwenkend hinter mir her. In New York ließ ich einmal auf dem Weg zu einer Verabredung meine vollgestopfte Brieftasche inklusive Green Card im Taxi zurück, mein Nachfolger gab sie kurzerhand in einem Hotel ab, der Empfangschef rief die darin gefundene Nummer an, und eine halbe Stunde später stand mein Mann mit der Börse vor mir. Ich belohnte ihn mit Erstaunen statt Erleichterung. No loss, no pain, von wegen „Aus Schaden wird man klug“.

Bislang verzichtet das Universum auf pädagogische Maßnahmen und schickt regelmäßig Rettung. Vielleicht verspürt es für mich ja eine besondere Fürsorgepflicht. Dabei übernehme ich das Verlieren meist selbst, allerdings kommen mir auch ohne Zutun Dinge abhanden.

Zweimal wurde mein Auto geklaut, aber die Diebe kapierten bald, dass ein uralter Morris Minor Traveller mit der PS-Leistung eines Rasenmähers auf deutschen Autobahnen keine Chance hat, weshalb sie ihn auf dem Parkplatz einer Polizeiwache wieder loswurden, wo den Wachtmeistern das langsam verdreckende Ding erst nach Monaten verdächtig vorkam.

Während mein Morris Dornröschenschlaf hielt, suchte ich einen würdigen Nachfolger; zum Abschluss der Formalitäten traf ich den Verkäufer in seiner Wohnung. Drinnen schlug mir der bestialische Geruch eines zwei Meter langen Reptils entgegen, das sich auf einem umzäunten Podest vor dem Fenster sonnte.

„Das ist Alli. Wechselblüter brauchen Wärme“, erklärte sein Herrchen, während er ihm sein Mittagessen zuwarf, das Alli dankbar herumschleuderte, bis die Fischfetzen ins Bücherregal flogen. Er hätte ja gern eine größere Wohnung, bekannte der Reptilienfreund, Alli sei so gewachsen. Beim letzten Umzug habe er ihn noch mit an Stangen befestigten Wattebäuschen chloroformieren können, aber das würde wohl nicht mehr klappen. Ich weiß nicht, was aus Alli wurde, aber das schnittige Teil, das den Morris ersetzte, blieb nur ein One Night Stand, denn das Universum brachte mir ja meine wahre Autoliebe zurück.

Vor der Sache mit dem vergessenen Rucksack fuhr übrigens mein Portemonnaie allein in der Berliner S-Bahn. Das Universum kümmerte sich darum, nur der Führerschein von 1976 fehlte. Vielleicht wollte es ja mein Foto als Teenager mit peinlicher Frisur für seine Trophäensammlung behalten.

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Pia Frankenberg
Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert
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1 Kommentar

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  • "Schön ist es, auf der Welt zu sein ..." (Zitat Roy Black & Anita)

    ... wenn man so viel Schwein hat wie Sie.



    Ihre Überlegungen bezüglich eines vermuteten pädagogischen Effekts eines endgültigen Verlusts kann ich übrigens aus eigener leidvoller Erfahrung als unberechtigt bezeichnen: selbst der mehrfache Verlust von Geldbörsen etc. _ohne_ die von Ihnen beschriebenen glücklichen Wendungen hatte nicht den geringsten pädagogischen Effekt bei mir. Merke: Trottel sind und bleiben halt Trottel.

    "... nur der Führerschein von 1976 fehlte." (Zitat Pia Frankenberg)

    Pardon? Wieso hatten Sie denn den Führerschein ihrer Mutter in Ihrem Rucksack?