Die Wahrheit: Von Freunden totgestreichelt
Die ansteckenden Affenpocken sind erst der Anfang. Eine Übersicht neuer Krankheiten mit tierischer Durchschlagskraft.
Bei den ersten Nachrichten über Affenpocken sah man es in den Mundwinkeln des „Tagesschau“-Sprechers noch zucken, und befürchtete, jeden Moment würde Thorsten Schröder in schallendes Gelächter ausbrechen und sich die Tränen aus dem Gesicht wischen. Mittlerweile sind die Mienen ernster. Droht eine neue Pandemie? Die ersten Betroffenen sind Männer, die Sex mit Männern hatten. Daraufhin riet die Berliner Gesundheitsverwaltung in der Stadt der Singles, der Schwulen und schwulen Singles überraschend, zur Vorsorge „enge körperliche und sexuelle Kontakte mit wechselnden oder fremden Personen“ zu vermeiden, anders gesagt: Katholizismus.
Die Szene zeigte sich entsetzt: „Wenn Zölibat allen Ernstes die Antwort des Berliner Senats auf die Affenpocken sein soll, dann sollte die Berliner Verwaltung lieber wieder Wahlen organisieren, das kann sie besser“, sagt Rocco Funtsel vom Berliner Landesverband der Darkroom-Betreiber.
Unterdessen wies der Chef des Robert Koch-Instituts Lothar Wieler darauf hin, dass die Affenpocken nur eine von zahlreichen Infektionskrankheiten sind, die sich aus der Tierwelt auf den Menschen übertragen könnten. Die WHO führt eine Beobachtungsliste mit potenziellen Erregern. Jeder von ihnen könnte sich zur globalen Pandemie auswachsen. Eine kleine Auswahl der Wahrheit:
Alpaka-Mumps
Erstmals beobachtet in Südamerika, überträgt sich diese zunächst unscheinbare Erkrankung über Kontaktinfektion mit Schurwolle von erkrankten Tieren. Die Infizierten bekommen am ganzen Körper einen flauschigen Ausschlag, zunächst am Hals, wo es zu einer mumpsartigen Erweiterung kommt, dem sogenannten Alpakakragen. Auch die Sehorgane der Erkrankten verändern sich zu knopfartigen Kulleraugen. Diese Schäden sind irreversibel und vor allem für Wollallergiker schwer auszuhalten. Für viele Erkrankte endet die Krankheit letal, da sie im Freundeskreis totgestreichelt werden.
Eisbär-Fieber
Anders als bei herkömmlichen Fiebererkrankungen ist die physische Überhitzung nicht Folge einer Stoffwechselstörung, sondern wird extrinsisch verursacht. Die Fieberzustände treten ein, weil es tatsächlich zu heiß ist. Das Eisbär-Fieber betrifft inzwischen nahezu sämtliche Eisbärpopulationen der Arktis, ist allerdings schon wiederholt, zuletzt in Indien und Pakistan, auch auf den Menschen übergesprungen.
Einzige wirksame Medizin wäre eine intensive Kühlung um 1,5 Grad und eine dauerhafte CO2-Therapie. Die Berliner Gesundheitsverwaltung empfiehlt Betroffenen indes, sich nicht zu warm anzuziehen. Im Tierpark Berlin wurden bereits sämtliche an Eisbär-Fieber erkrankten Tiere, also alle, geschoren wie Zierpudel. Zwei Exemplare starben daraufhin an Scham.
Kätzchen-Schnupfen
Was so niedlich klingt wie ein niesendes Katzenbaby, ist alles andere als das, nämlich eine hochinfektiöse Krankheit mit 95-prozentiger Letalität bei Mensch und Vierpfotenvieh. Die Erkrankung überträgt sich von Katze zu Katze und von dort zum Menschen per Tröpfcheninfektion. Einzige Lösung: sämtliche Hauskatzenbestände sofort zu keulen – ein undenkbares Szenario.
Ein Sturm der Entrüstung dürfte daraufhin durch Europa fegen. Die Tierschutzsekte Peta gewänne in mehreren Ländern die Parlamentswahlen. Extinction Rebellion würde am Widerspruch zwischen Aussterben der Menschheit und Tierrechtserwägungen implodieren. Die Menschheit stürbe mit Sicherheit aus. Schließlich würden auch die Katzen aussterben. Die wenigen Tiere, die immun sind, verhungern, weil ihnen keiner mehr die Dosen aufmacht.
Storch-Hirnfieber
Eine schwerwiegende Infektionskrankheit, die vorwiegend das menschliche Gehirn befällt, und vermutlich oralauditiv übertragen wird. Lebendige Hirnzellen zerfallen sukzessive zu brauner Pampe. Wenn überhaupt, können Betroffene nur noch querdenken, das Sprachzentrum gebiert unverständliche Hassrede. Weitere Symptome sind Überreizung des Wutzentrums und brauner Schaum vorm Mund. Im Endstadium zeigen vom Storch-Hirnfieber befallene Menschen ihr hässlichstes Gesicht.
Die Epidemie geht vermutlich zurück auf ein Storch-Weibchen in Berlin-Mitte, die Ausbreitung erfolgte vorwiegend in Ostdeutschland, wo sie auf schon vorgeschädigte Hirne traf. Linderung verschaffen kann eine Deutsches-Blut-Wäsche oder eine einfache Impfspritze. Vor der rennen Storch-Hirnentzündete weg, bis sie über den Rand ihres Weltbildes fallen.
Schmetterlings-Noro
Eine schwerwiegende Magen- und Darm-Entzündung mit tagelangen Brech- und Sprühdurchfällen, hervorgerufen von einem Virus, das von Milben auf den Flügeln des ostasiatischen Panda-Auges auf Importobst übertragen wird und von da in die Nahrungs- und Turboausscheidungskette gelangt. Der zentrale Krankheitsherd des Schmetterlings-Noros liegt im Bauch. Einmal mehr bewahrheitet sich dabei die alte Weisheit: Der Flügelschlag eines Schmetterlings im fernen Asien kann hierzulande einen wahren Shitstorm auslösen.
Bären-Ebola
Vom russischen Bären auf den Menschen übergesprungen. Schon eine infizierte Person reicht aus, um ein Massensterben auszulösen. Symptome sind Verfolgungs- und Cäsarenwahn, unmotiviertes Entblößen auf Pferden, Großmachtfantasien, Fingerzittern am roten Atomknopf.
Bei Tisch schützt ein Sicherheitsabstand von sechs Metern vor einer Ansteckung, eine Heilung ist nicht möglich. Die Isolation des Infizierten allein reicht nicht aus. Einzig in Den Haag können Patienten mit Bären-Ebola zurzeit adäquat behandelt werden. Der Patient Null sollte unbedingt dort eingeliefert und bis dahin krankgeschrieben werden.
Dies ist nur eine Auswahl der nächsten Pandemiekandidaten, auf der erweiterten Beobachtungsliste der WHO stehen noch Kolibri-Elefantitis, Iltis-Influenza, Erdmännchen-Typhus, Blauwal-Hepatitis, Alligatoren-Herpes, Dalmatiner-Masern, Grünfink-Röteln, Giraffen-Rachitis und der König der Tierkrankheiten: Tausendfüßler-Schweißgeruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind