Die Wahrheit: „Arminius hieß tatsächlich Arminia“
Das Wahrheit-Interview: die westfälische Historikerin Andrea Meisenhoff über gefälschte römisch-germanische Geschichte.
Im ostwestfälischen Detmold herrscht der Ausnahmezustand. Stein des Anstoßes: Das Hermannsdenkmal, das an den Sieg der Germanen über das römische Invasionsheer im Jahr 9 n. Chr. erinnert, soll geschleift werden. Das fordert Andrea Meisenhoff von der Geschichtswerkstatt Lippe e. V. Die Wahrheit sprach mit der 23-jährigen Historikerin.
taz: Frau Meisenhoff, warum soll das 150 Jahre alte Denkmal abgerissen werden?
Andrea Meisenhoff: Das Denkmal verherrlicht den mörderischen deutschen Nationalismus und, was wirklich schlimm ist: den Maskulinismus. Der steinerne hohe Sockel, die steil aufragende Gestalt, das emporgereckte Schwert – alles versinnbildlicht den Phallus. Von Hermanns weiblicher Seite keine Spur! Und der Name ist sogar doppelt männlich.
Wollen Sie den Namen auch austilgen?
Wir wissen schwarz auf weiß nur, dass der römische Geschichtsschreiber Tacitus den germanischen Namen verschweigt und nur seinen römischen nennt: Arminius. Der sei der Sohn des cheruskischen Stammesfürsten und soll als Geisel in Rom aufgewachsen sein, um das Wohlverhalten der Germanen zu sichern.
Stimmt das Ihrer Meinung nach nicht?
Man darf Tacitus nicht auf den Leim gehen. Der sogenannte Arminius war nicht der Sohn des Cheruskerfürsten, sondern seine Tochter.
Er war ein Mädchen?! Das müssen Sie erklären.
Ganz einfach. Was sollten die Römer denn mit einem Jungen anfangen, ihn etwa im Kriegshandwerk unterrichten, damit er dann seine Kenntnisse gegen Rom wendet? Ein Mädchen dagegen war nützlich. Es konnte in einem römischen Haushalt eingesetzt werden und kochen, putzen, Strümpfe stopfen.
Das klingt mehr nach Spekulation als nach wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis. Oder findet sich davon etwas in Tacitus’ Schrift „Germania“?
Tacitus lügt durch Verschweigen. Ich habe dafür volles Verständnis, er war ein Mann und konnte nicht anders. Deswegen erwähnt er in seinem Machwerk auch nirgends, dass Arminia im Haushalt des römischen Feldherrn Varus lebte.
Moment, Arminia? Varus?!
Selbstverständlich! Varus heiratete Arminia dann, und sie begleitete ihn später auf seinem Feldzug in Germanien. Jemand musste doch für ihn das Essen zubereiten, die Rüstung flicken, die Unterhosen waschen, so war damals die Rollenverteilung. Arminia aber besann sich in der alten Heimat auf ihre Wurzeln, ihre Identität als Germanin!
Gibt es dafür einen Beweis?
Von der Schlacht im Teutoburger Wald werden Sie doch wissen! Vom Verrat des angeblichen Arminius, in Wahrheit der Arminia! Natürlich war den männlichen Historikern das peinlich. Deshalb wurde bei Tacitus aus ihr ein Arminius, und daraus haben die deutschen Machos eben einen Hermann gemacht. Besser gesagt, erfunden! Nach 2.000 Jahren maskuliner Geschichtsklitterung ist es Zeit, den patriarchalischen Lügen den Stecker zu ziehen.
Gibt es denn weitere Fälle solcher Umdeutung von Geschichte?
Gibt es. Über 100 Jahre vor Arminia überrollten die Kimberinnen und Teutoninnen das römische Reich und vernichteten mehrere Heere, bis sie von den Legionen des Chauvis Gaius Marius besiegt wurden. Oder denken Sie an das Nibelungenlied.
Sie beziehen sich auf die bärenstarke Gudrun und die stolze Rächerin Krimhild?
Und auf Siegfried!
Siegfried?! Was meinen Sie?
Es geht nicht um meinen. Wir wissen, dass Arminia in germanischen Heldensagen fortlebte und schließlich im mittelhochdeutschen Nibelungenlied besungen wird! Die Germanin Arminia hieß nämlich eigentlich Frieda. Daraus wurde im Lauf vieler maskulin verdorbener Jahrhunderte Siegfried. Nebenbei erklärt das, weshalb Tacitus nur einen römischen Namen, aber keine Frieda überliefert. Natürlich ein durchsichtiges Manöver und eine der vielen Fälschungen durch Unterlassen. Alles nur, um Frauen aus der Geschichte auszuradieren. Denken Sie an Varus!
Varus? Hat er denn Frauen ausradiert?
Nein, wahrscheinlich wurde ihm etwas ausradiert. Beziehungsweise ihr. Vielleicht war er eine Frau, Vara. Oder richtiger Vera. Arminias Ehefrau.
Och nö.
Aber ja! Fest steht doch, dass nicht nur in Sachen Frieda-Arminia die Geschichte patriarchalisch umgelogen wurde. Wir, die Geschichtswerkstatt Lippe-Detmold, prüfen derzeit einen Fall aus dem 16. Jahrhundert, ob Ähnliches mit der berühmten und weitbeschrienen Schwarzkünstlerin Johanna Faust geschah. Englische Kolleginnen haben sich Robin Hood vorgenommen, dessen Vorname ja weiblich gelesen werden kann. Und muss!
Muss Ihr Blick nicht sogar bis zur Antike zurückgehen?
Ja, und manches springt ins Auge. Wer hat den Augiasstall gereinigt, Herkules etwa? Nein, Herkula! Auch Sie würden doch sagen: eine typisch weibliche Aufgabe!
Wenn Sie es sagen. Zurück zu Arminius alias Arminia. Sind Sie wirklich felsenfest überzeugt?
Es ist nichts als altes, verschüttetes Wissen, das ich wiedergefunden habe. Und bedenken Sie: Spuren davon haben sich bis heute erhalten. Nur ein Beispiel: Ich bin selbstverständlich Fanin von Arminia Bielefeld.
Da die Arminia gerade abgestiegen ist, kennen Sie sicher den alten Sportwitz: Wie heißt der höchste Berg Deutschlands? Bielefelder Alm. Ein Jahr Aufstieg, ein Jahr Abstieg. Frau Meisenhoff, wir danken Ihnen dennoch für das Gespräch.
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