piwik no script img

Die WahrheitMeine finnischen Aktien

Auf einer Finnland-Tour ist die Stimmung der sonst so schweigsamen Nordmenschen angesichts der russischen Bedrohung deutlich zu vernehmen.

M eine Nokian-Reifen-Aktien sind gefallen! Ich besitze 15 Stück, als private Altersvorsorge. Mir wurde gesagt, man soll ein emotionales Verhältnis zu seinen Aktien haben. Emotion – das ist bei mir Finnland. Finnland ist mein ganz persönlicher Blutdrucksenker. Ich liebe zum Beispiel die Mumins, diese nilpferdartigen Trollwesen, weil ihre Rundlichkeit an meine erinnert. Und ich liebe Nokian. Ich fahre nur Reifen von Nokian. Auch weil ich Anteilseigner bin.

Was ich nicht wusste, ist, dass 80 Prozent der finnischen Reifenproduktion in Russland stattfindet. Ich hatte die Aktien gekauft für 29,51 Euro und war sehr stolz, als sie auf 35,08 Euro stiegen. Dann fielen sie um 56 Prozent auf 12,42 Euro. Dann sogar auf 11,22 Euro. Putin kostet also auch mich echtes Geld.

Ich war gerade wieder in Finnland, im April. Zu einer Auftrittsreise an neun Orten im ganzen Land: Rovaniemi, Oulu, Salo, Turku, Tampere, Seinäjoki, Savonlinna, Joenssu und Helsinki. Es war noch kalt. Schneereste lagen auf den Straßen, über die ich mit meinen finnischen Reifen sanft dahinrauschte. Der Saimaa-See wie der Kemijoki waren noch zugefroren wie Putins Hirn.

Als Ostwestfale fällt es mir leicht, mit den Finnen ins Gespräch zu kommen, auch ohne die Sprache zu können. Man muss schweigen können. Da erfährt man viel, ohne ein Wort zu sagen. Auf dieser Reise allerdings war wenig Zeit für Schweigen. Der Krieg in der Ukraine war jeden Tag neu das Hauptthema, die Bedrohung, mindestens die Unsicherheiten für Finnland durch die 1.340 Kilometer lange gemeinsame Grenze.

Ich erfuhr von subtilen Störaktionen im öffentlichen Leben, von gezielten, strategisch anmutenden Land- und Grundstückskäufen durch Russen entlang wichtiger Wasserwege, dem untypischen Einzäunen, von Sichtschutzbauten und Durchfahrverboten, dem Abschotten russischer Liegenschaften. Dem stark gestiegenen Wunsch, sich der Nato anzuschließen.

Sie sagten auch: „Wir wissen, Putin wird uns dafür bestrafen!“ Russland stoppte letzten Samstag seine Stromlieferungen an Finnland. Aber kein Problem für die Finnen: „Notfalls setzt sich die ganze Nation auf Heimtrainer und erzeugt Strom. Gib uns zwei Wochen, und wir wandeln selbst den Anlauf im Skisprung in Energie um.“

Uns Deutschen sind die Finnen technologisch absolut überlegen. Handy-Empfang hast du an der letzten Birke in Lappland. In Seinäjoki zum Beispiel musste ich die Bahnhofstoilette mit QR-Code und Smartphone entsperren. Die Nutzungsgebühr kommt auf meine nächste Handyrechnung. Meine Eltern hätten keine Chance gehabt. Die haben kein Handy!

Nun haben Finnland und Schweden beschlossen, der Nato beizutreten. Ich finde das super. Auch meine Nokian-Aktie stieg sofort auf 13,15 Euro. Ich hoffe, sie wird sich bis zu meiner Rente erholen. Schade, dass es keine Mumin-Aktien gibt. Aktien für die glücklichste und pazifistischste Gesellschaft der Welt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Bernd Gieseking
Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!