Die Wahrheit: Kein geistiges Angriffspotenzial

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (140): die Krickenten. Sie sind schwer gebeutelt von der großen Vogelseuche.

Eine Krickente schwimmt im Wasser

Pflanzt sich die Krickente fort, dann pfeift sie ausgiebig Foto: Jürgen Landshoeft/imago

Die Krickente (anas crecca) gehört zur Gattung der Eigentlichen Schwimmenten. Sie ist weit verbreitet. Im „Rundbrief der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Unterfranken Region 3“ (2020) heißt es: „Wie die Stockente ist die Krickente in der Nahrung wenig wählerisch.“ Sie ist die kleinste Entenart; das Männchen hat einen leuchtend kastanienbraunen Kopf und ein weiß gestricheltes Gefieder. Das Weibchen ähnelt der Stockente.

Der Wasservogelforscher und Begründer der Ethologie, der Biologie des Verhaltens, Oskar Heinroth, schrieb in „Beiträge zur Biologie“ (1910): „Der Krickerpel trägt seinen Namen mit Recht, denn der einzige von ihm ausgestoßene Ton, der besonders vor und während der Fortpflanzungszeit vernehmbar ist, klingt wie ‚kryck‘ und wenn mehrere Männchen um ein Weibchen vereinigt sind, hört man dieses hübsche Pfeifen fast ununterbrochen.“ Sie sind „außer in Liebesangelegenheiten vollkommen stumm, während die Weibchen über Lock-, Warn- und manchmal auch noch andere Rufe verfügen.“

Man muss befürchten, dass bald beide Krickentengeschlechter verstummen. 2014 berichtete die Neue Zürcher Zeitung: „Erstmals trug eine im Rahmen des Wildvogelmonitorings in Mecklenburg-Vorpommern geschossene Krickente [mutmaßlich aus Korea stammend] das hochansteckende Vogelgrippevirus H5N8 in sich, aber ohne Anzeichen einer Erkrankung.“

Virus bei Hongkonger Krickenten

In Hongkong wurde in Krickenten schon 1997 und 2005 das Virus H5N1 entdeckt, wie Mark Honigsbaum (in: „Das Jahrhundert der Pandemien“, 2019) schreibt. Sie infizierten Hühner, Zuchtenten, -gänse und -puter, die alle getötet wurden: Millionen. Aber auch Menschen erkrankten, obwohl das Virus lange Zeit als ungefährlich galt.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2022: „Von 2003 bis Ende 2020 registrierte die Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 860 bestätigte H5N1-Infektionen beim Menschen. Die Mehrheit davon ereignete sich in Asien. Der Erregertyp kann schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle verursachen; von den bisher erfassten Infizierten starben 52 Prozent.“

In England infizierte sich Anfang 2022 ein Mann, der „engen Kontakt zu infizierten Vögeln“ hatte, mit dem Virustyp H5N1. Zuvor war in Russland erstmals die Übertragung des Virus H5N8 auf Arbeiter einer Geflügelfarm nachgewiesen worden. Das niedersächsische Tierseucheninfo meldete am 16. 2. 2022: „Dramatisches Geflügelpestgeschehen in Europa. Über 20 Länder betroffen. Massenhaft verendete Wildvögel an Europas Küsten.“ Keine Krickenten, aber im Landkreis Chalm wurde eine abgeschossen, die mit dem Geflügelpestvirus H5N1 infiziert war.

Sichere ökologische Nische

Der Historiker Mike Davis schreibt (in: „Vogelgrippe“, 2006), dass das Internationale Amt für Tierseuchen bereits 2004 zu der Einschätzung gelangt war, dass H5N1 „mittlerweile eine sichere ökologische Nische besonders in Enten [Krick- und Stockenten] gefunden hat, die frei von Krankheitssymptomen bleiben, aber für Menschen eine langfristige pandemische Bedrohung darstellen“.

Die Überträgersuche konzentrierte sich weiter auf Wasservögel. Krickenten galten als „Trojanische Enten“, der Rotterdamer Virologe Ron Fouchier sprach von „Bio-Terroristen“. Ein russischer General schlug vor, gleich alle Vögel, die die Grenze überfliegen „vom Himmel zu holen“. Aber dann entdeckte man H5N1 auch in Insekten, Mäusen, Schweinen, Katzen, Hunden und 2006 bei einem Marder auf Rügen. „Als Folge der Ereignisse im Zusammenhang mit der Vogelgrippe erfuhren die Influenza-A-Subtypen H5N1, seltener H7N9 und H5N8 eine besondere Aufmerksamkeit in den Medien“, heißt es auf Wikipedia unter dem Stichwort „Geflügelpest“.

Ähnliches galt für die „Schweinegrippe“, die von Influenza-A-Viren der Typen H1N1, H1N2 und H1N3 hervorgerufen wurde. Die Seuche war in einigen Fällen schwerwiegend und sogar tödlich. Etwa 160.000 Menschen starben weltweit durch die Schweinegrippen-Pandemie 2009/2010.

Ab 2002 beschäftigte Forschung und Öffentlichkeit das Coronavirus Sars-CoV, das sich ausgehend von China zu einer Pandemie entwickelte und schnell zu über 8.000 gemeldeten Fällen in 27 Ländern mit insgesamt mehr als 700 Todesopfern führte. Hier wurden als Überträger Fledermäuse und Flughunde (Fledertiere) angenommen, die selbst keine Krankheitssymptome zeigten.

Das galt dann auch für das jetzt innerhalb und außerhalb von uns virulente Virus Sars-CoV-2, das 2019 erstmals auf dem Lebendtiermarkt in Wuhan („der Wiege der chinesischen Revolution“) auftrat. 2020 wurden im Westen fast alle Zuchtnerze, von denen einige mit diesem Coronavirus infiziert waren, getötet, allein in den dänischen Nerzfarmen 17 Millionen.Und 2012 waren – vor allem in Saudi-Arabien – die Menschen an einem neuen Coronavirus Mers-CoV erkrankt, Zwischenwirte waren hier Dromedare, deren eigene Infektion „meist milde“ verlief.

Rätselhafte Resistenz

Erinnern wir uns: Sowohl die Überträger des Pestbakteriums, Nager mit Floh, als auch die Überträger des Malaria-Erregers, Anopheles-Mücken, sterben an diesen Erregern. Aber weder die Überträger der Influenza-Viren (HN), unter anderem Krickenten, noch die Überträger der Coronaviren CoV und CoV-2 (Covid-19), Fledertiere, leiden an der Infektion. Ein Rätsel!

Nimmt dabei die bedrohte Tierwelt vielleicht einen neuen Anlauf, um sich zu wehren? Mit Viren als Symbionten? Philipp Kohlhöfer hält das in seinem Buch „Pandemien – Wie Viren die Welt verändern“ (2021) für „romantisch überhöhten Unsinn“.

Auch die Ornithologin im Hitchcock-Film „Die Vögel“ (1963) war überzeugt, dass den Vögeln das geistige Potenzial fehlt, Angriffe mit destruktiven Beweggründen zu führen. Der US-Neurologe Marc Hauser meint sogar: Tiere sind generell nicht in der Lage, sich zu einem Aufstand zusammenzurotten. „Eine Revolution ist mit Tieren nicht zu machen“, schreibt er in seinem Buch „Wild Minds“ (2001).

Biologische Intelligenz

Anders der Dramatiker Heiner Müller, er äußerte über den Hitchcock-Film: „Die Bedrohung durch die Vögel könnte ein Symbol für die Rebellion der Natur sein, die der Mensch verwüstet […] Vielleicht geht es letztlich nur noch darum, wer zuerst mit wem fertig wird, die Natur mit der Menschheit oder die Menschheit mit der Natur […] Es gibt eine biologische Intelligenz, die ökologisch agiert.“

Nun wird man den Viren kein „geistiges Potenzial“ für Angriffe auf Menschen zutrauen. Sie gelten noch nicht einmal als Lebewesen, weil sie zu ihrer Vermehrung lebende Wirtszellen brauchen, sie taugen jedoch als tödliche Waffe. Wenn man Virologen, unter anderem Karin Mölling, glauben darf, dann wird man sie nicht nur bald zu den Lebewesen zählen, sie sollen auch am Anfang allen Lebens stehen – und sie sind überall: in allen Organismen, in der Erde, in der Luft und im Meer, wo bis zu 100 Millionen Viren pro Milliliter, nun ja, leben.

Die Afrikanistin Uli Beisel argwöhnt, dass all die Mittel, mit denen die Seuchenüberträger ausgerottet werden – etwa DDT, Pestizide, Abschüsse oder Gentechnik – nichts nützen. Sie plädiert stattdessen für einen „Waffenstillstand“. Koexistenz heiße das Gebot der Stunde. Mindestens für die Zwischenwirte. Das könnte den Krickenten helfen.

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