Die Wahrheit: Bloody Wladi lädt zum Rumms
Ein Fest für alle Freunde des Krieges: Russlands neuer Zar Wladimir Putin verwirklicht die geheimsten Bombenträume.
Endlich wieder Krieg! Jubeln alle Bewunderer des beliebten und nie unmodern werdenden Zeitvertreibs. Und dann gleich solch ein traditionsreicher, auf altehrwürdigen Schlachtfeldern in den Weiten der blutgetränkten Tundra. Ukrainer gegen Russen, West gegen Ost, alte Nato gegen neue Sowjetunion – das verspricht einen attraktiven „Waffengang“, wie es in der Sprache der mit Leidenschaft und Herzblut engagierten Freunde des Kriegs heißt. Wenn die Stalinorgel dröhnt, bebt das bleierne Herz.
Nicht dass zuletzt die Waffen auf Erden geschwiegen hätten, beileibe nicht, aber so ein Krieg in Afrika oder im Nahen Osten ist doch einfach nicht dasselbe, zu weit weg und zu fern von jeder klaren Sicht auf die explosiven Dinge. Nein, ein anständiger und respektabler Krieg muss schon im wertvollen Europa stattfinden, allein wegen der reichen Erfahrung seit dem Dreißigjährigen und dem Großen Vaterländischen Blutbad. Die seit Jahren bereits stattfindenden Scharmützel von Krim bis Donbass waren allenfalls unerquickliche Vorspiele und können niemanden wirklich befriedigen, der ein Gespür für konzentrierte Kampfhandlungen besitzt. Jetzt aber wird es richtig rummsen.
Wenn der Krieg nicht irgendetwas an sich hätte, dann würden die Menschen ihn nicht immer wieder neu beginnen. Das glauben die Freunde des Kriegs, die es trotz der ewigen Flower-Power-Zeiten von mehr als 75 Friedensjahren in mitteleuropäischen Breitengraden geben muss. Sonst würde die aktuelle Schlächterei sicher nicht veranstaltet werden, es ist doch nie nur eine Seite alleine schuld, wissen selbst die härtesten Aficionados bewaffneter Konflikte. Mit Kaviar und Krimskoje versammeln sie sich vor den Übertragungsgeräten und feiern den russischen Feldherrn der harten Herzen, der mit seinem Geschützdonner ihre geheimsten Bombenträume verwirklicht: Ein reinigendes Stahlgewitter auf dem leider viel zu friedliebenden Kontinent.
Endlich wird das ungenutzte, aber auch drohnenfrisches Equipment zum Einsatz kommen. Und wozu hat man schließlich als Soldat schießen, sprengen und töten gelernt, wenn man es nicht anwenden darf? Man rüstet ja auch nicht auf, wenn man keinen Krieg führen will, nicken sie sich einverständig zu. Die vergilbten Landkarten aus Großväterchens Wehrmachtsbeständen werden hervorgeholt, leicht verbogene Fähnchen auf verstaubten Kartentischen hin und her geschoben, um den jeweiligen Frontverlauf abzustecken. Der Einsatz neuartiger Waffensysteme aller Gattungen wird tabellarisch genau verzeichnet wie auch akribisch jede Verlustzahl an, wie sie es nennen, „Menschenmaterial“. Feuerstärke sticht!
Aufheulen der Kriegsgegner
Milde belächelt man das moralische Aufheulen der Kriegsgegner, sobald es zu Kollateralschäden oder ähnlichen Verlusten weicher Ziele kommt. Die Friedensbewegten machen es ihnen aber auch leicht und salbadern jedes Mal dieselben ausgelutschten Phrasen: „Das erste Opfer des Kriegs ist die Wahrheit.“ Man sollte einen Preis ausloben: Wer gibt zuerst die Dummbeutelei Nummer eins von sich? And the winner is: Die Rhein-Neckar-Zeitung aus Heidelberg, die bereits am 17. Februar 2022 die unterste Kommentarschublade öffnete und die beliebte Binse hervorkramte: „Stimmt schon: Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit. Und die stirbt gar nicht im Krieg direkt, sondern lange bevor der erste Schuss fällt.“
Nein, stimmt nicht, oder nur halbwegs. Man sollte den Heidelberger Schwaflern und allen anderen medialen Plagegeistern für alle Kriegszeiten einbläuen: Die Wahrheit ist nie das erste Opfer des Kriegs. Das ist immer ein Mensch. Außerdem ist die Wahrheit auch im Frieden nie das höchste aller Güter. Jedenfalls ganz bestimmt nicht für allein an ihrer Macht interessierte Politiker, egal welcher Couleur. Was macht eigentlich gerade Wolfgang Kubicki? Ist der Meister der Niedertracht schon unter Putins Bettdecke geschlüpft?
Die Wahrheit ist: Der Ukrainekrieg ist unaufhaltbar und beginnt jetzt. Es sei denn, der nur mit Blick auf seine eigene Rolle in der Geschichte handelnde Herr aller Reußen wird doch noch kurz vor knapp von den vereinigten Kräften der Diplomatie zurückgepfiffen. Wer’s glaubt, wird selig.
Absage des Karnevals
Tatsächlich schleicht sich der Krieg leise an, umso lauter brüllt er dann los. Bis bei den auf diesem Ohr tauben Deutschen die Kriegsangst ausbricht. Muss mit dem Schlimmsten gerechnet werden? Dass wie beim Kuwait-Event in den neunziger Jahren sogar der Karneval abgesagt wird? Müssen die gefühlt sowieso von der Hand in den Mund lebenden Deutschen wieder die Keller mit Kartoffeln füllen, um nicht am Hungertuch zu nagen? Werden sie ihre Karren und Kutschen mit dem Nötigsten beladen, um sich auf schier endlose Flüchtlingstrecks nach Westen zu begeben? Aber wohin da? Nach Holland?
Oder wird der im letzten Weltkrieg verschüttete deutsche Kampfeswille geweckt? Wehrt man sich und verbietet – Achtung, Feind kocht mit! – die auf deutschen Tellern beliebte Soljanka? Wird der Deutsche Fußball-Bund beim ersten Anflug russischer Raketen den an Putins Sponsorentropf Gazprom hängenden FC Schalke 04 zum Zwangsabstieg verdonnern und in den blau-weißen Abgrund der Amateurhölle stoßen? Wird Gerhard Schröder von der Bundespolizei als dümmste Kolonne Moskaus festgenommen und interniert? Oder sitzt der Altkanzler längst, bewacht von seiner südkoreanischen Gattin, in einem Internierungslager namens Instagram?
Was, wenn der neue Zar des alten Russland bereit ist, alles zu riskieren, selbst den Weltuntergang? Fragen über Fragen, die alle Freunde des Kriegs im Pulverdampf energiebesoffen diskutieren, als wäre die Formel für den Weltfrieden irgendwo unter den Kellerkartoffeln verborgen, die russische Atomraketen allerdings minutenschnell grillen können.
Um des lieben Krieges Willen liegen sie dem Gasmann Putin zu Füßen und nuckeln an seiner teuren Pipeline, die energisch vor sich hin pumpt. Ergeben nennen sie den Weltenzündler, der sich mit einem globalen Gemetzel ein eigenes Denkmal bauen möchte, in einem Atemzug mit Alexander und Napoleon, Hitler und Stalin. Schließlich ist der Krieg der Vati aller Dinge, und die Mutti der neuen Weltordnung heißt Bloody Wladi. Niemand kann den Großmeister des Grauens noch stoppen. Endlich ist Krieg!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW