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Die WahrheitDer Versteher

„Sorry, dass ich so glotze. Ich kann mir ja vorstellen, wie sehr das nervt, von wegen male gaze und so; ich mein das hier aber echt nicht so …“

S ie fällt mir an der Fußgängerampel auf, an der wir beide auf Grün warten. Sie ist jung, hat die braunen Locken wild und einen sehr hellen Teint zu sehr markantem Lippenstift, der aber so gut passt, als wäre der Farbton eigens für dieses Gesicht kreiert worden. Was für ein Gesamtkunstwerk, wow! Ich kann es nicht vermeiden, dass mein Blick einen Tick zu lang an ihr hängenbleibt. Sie merkt es wohl und schaut kurz und indifferent zurück; ich wende die Augen wieder ab.

Sorry, dass ich so glotze. Ich kann mir ja vorstellen, wie sehr das nervt, von wegen male gaze und so; ich mein das hier aber echt nicht so, bei mir ist das völlig anders.

Doch ich versteh ja, wenn dich das triggert. Verstehe ich total. Du wirst bestimmt alle naselang damit konfrontiert. So etwas weiß man ja, das sackt ja heutzutage endlich mal so langsam in die Köpfe. Finde ich ja auch gut. Längst überfällig.

Ich wäre deshalb auch null beleidigt, wenn du sauer wärst, das stünde mir überhaupt nicht zu; in dem Fall würde mir nur bleiben, dir als Betroffener zuzuhören und mich zu entschuldigen. Vollkommen klar. Muss ich akzeptieren.

Bloß deine ganze Erscheinung, die Farben, dein Gesicht, du, ich finde das einfach nur total schön, so im Sinne von ästhetisch. Also schlicht, was da ein Mensch für ein perfektes Gespür hat für Farbe und Stil und die eigene Persönlichkeit. Das ist alles. Ich hätte garantiert genauso geguckt, wenn da jetzt ein Mann gewesen wäre, der ebenfalls irgendwas ganz Besonderes an sich gehabt hätte. Was weiß ich, Hut oder Augenbrauen oder so.

Superschade und so

Das musst du schon glauben, also musst du natürlich nicht, Quatsch, gar nichts musst du, aber es wär halt schön. Weil, das wäre nämlich echt schade, wenn dich das verletzen würde, superschade.

Weil ich will doch nix von dir, hab ich ja erklärt, ne, ich wollte dich ja echt nicht anmachen, ich bilde mir da doch gar nix ein, um Himmels willen, ich bin ja nicht blöd, ich weiß doch, dass ich alt und hässlich bin, ich kann das doch alles einschätzen, und ich hätte dich auch nie im Leben angesprochen; das tu ich jetzt ja nur, um mich zu erklären und damit du dich nicht wunderst und vielleicht auch wieder ein kleines bisschen besser fühlst und so.

Weil ich weiß ja auch, dass viele Typen die Problemlage echt so gar nicht so checken, so als ob die nie in den Spiegel gucken; ich seh das ja immer, ich schau mir da manchmal selbst wie über Bande zu, und dann muss ich oft so’n bisschen lachen über mich und sag mir, „ey, du alter Sack“. Da hab ich schon Distanz.

Aber du siehst eben super aus, das ist nun mal Fakt, trotzdem, wenn ich da so rein belästigungstechnisch gerade was bei dir ausgelöst habe, dann täte mir das wirklich einfach nur ungebrochen leid, sorry.

Das alles hätte ich ihr gern gesagt, bringe jedoch mal wieder nur ein schnödes „Willst du ficken?“ heraus. Mist, ich hab es halt echt nicht drauf.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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2 Kommentare

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  • Flott geschrieben, aber irgendwie gedankenarm, nach dem bewährten Motto: "Männer sind doch alle nur testosterongesteuert". Naja, wer sich den Schuh anzieht...

  • Einmal mehr versteht es Uli Hannemann, mit einem satirischen Text nichts zu verschenken. Man muss schon selber dran "kauen". Leblosen Trocken-Lebkuchen für "billig" gibts an der Weihnachtsbude auf´m Weihnachtsmarkt. Was da so los ist, erfährt man heute in der Taz von der zweiten richtig gut gelungenen Satire.