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Die WahrheitDas fünfzigste Jahr

Das Leben ist eines von Windel zu Windel: Mit 50 ist das Wellnesshotel der angemessene Ort zum Feiern, auch angesichts einer Hochzeit.

D as fünfzigste Jahr begann passenderweise an einem Kurort in einem Wellnesshotel. Die Sonne schien schräg auf die motorisierte Hochzeitgesellschaft, die das halbe Hotel okkupiert hatte und schon des Nachmittags zum Tanz bat, es gab erstaunlicherweise „Surfin’ USA“ von den Beach Boys. Enkel tanzten mit den Tanten, die Braut schwang die Hüften, ein rabiater Onkel überlegte, ob er sich nicht ins kalte Büfett stürzen sollte – so als ironisiertes Stagediving. Hochzeitsgesellschaften, die sich krampfhaft bemühen, cool zu wirken, eigentlich sogar ganz interessant, dieser Gegensatz. Tätowierte Brautjungfern in schicker Volksmusiksendung-Kulisse, Harley-Fahrer im Anzug.

Die SUVs standen hinter, die Motorräder – eine oder einer der Eheleute schien Verbindungen zur Schopperszene zu haben – vor dem Hotel. Ich hörte Babygeschrei, wo keines war, und besuchte Tanzbeine, die sich auf Pferden zeigten. Unten im Wellnessbereich, am Pool mit mintgrünem Wasser – entweder reichlich Badezusatz oder einfach mintgrün schimmernde Fliesen, so recht klar wurde mir das unter Wasser nicht – schloss ich mich nach dem Bade der Gesellschaft der geschlossenen Bademäntel an. Der Saunabereich war nämlich ebenso geschlossen, wegen Corona. Eine Dampfsauna, in der man so schön schemenhaft verschwinden konnte, gab es hier leider eh nicht.

Dann im Flachbau nebenan, hinter dem verwitterten, zeitversunkenen Tennisplatz, der aussah, als ob der junge Thomas Muster der letzte Mensch war, der hier spielte, in einem Einzel gegen sich selbst, Stichwort: Me-Time, damals, in den frühen Achtzigern, wurden Pekip-Kurse gegeben. Man konnte sie dort bequem von den Liegestühlen aus beobachten: Eltern robbten mit ihrer Brut um die Wette, und ich überlegte, ob man eine E-Musik-Oper für zwölf kreischende Babys und fünf heulende Teenager komponieren sollte, und ob es umgekehrt nicht auch höhnisch sei, mit einem Kinderwagen an einer Seniorenresidenz vorbeizufahren. Das Leben ist schließlich eines von Windel zu Windel.

Oben im Raum 212, das Bett stöhnte, der Spiegel weinte, erinnerte ich mich, wie ich in Polen eine Badehose kaufte. Mit Blick auf die sich verlustierenden Hochzeitsgäste in der reichlich blumengeschmückten, hoteleigenen Grünanlage, wurde ich ob des neuen Lebensabschnitts leicht melancholisch. Die Gäste sahen mittlerweile auch schemenhaft aus, wie unter Wasser, ich konnte sie nicht mehr voneinander unterscheiden.

Das musste diese Altersweitsicht sein, die schon Freunde so stark befallen hatte, dass sie mich anriefen, wenn sie bei mir vor der Tür standen ohne Brille und also mein Klingelschild nicht mehr fanden. Was sollte jetzt beginnen, half es da, frühen Rock ’n’ Roll zu hören, weil der auch nicht in, sondern aus den Fünfzigern war? War ich in einem Alter, in dem man sozusagen Subsenior war, ein Schritt vor der Rente, aber noch mitten im Leben, und der Modus ist nur noch einer der Beschwerde?

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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