Die Wahrheit: Wikirausch für Gamer
Wie in einem Riesenspielrausch kann das große Internetlexikon manchmal seine Nutzer von Hölzchen zu Stölzchen springen lassen.
K ürzlich fand in Köln die Gamescom statt, die weltweit größte Messe für hippe Gamer. Es wurden wie immer irgendwelche unfassbaren Umsatzsteigerungen der Branche genannt. E-Sport, kurz für elektronischer Sport, und bei Wikipedia „der Wettkampf mit Computerspielen“, wollen die Chinesen als olympische Disziplin, denn deren Teenager sind die besten in „League of Legends“ und Konsorten, die nächtelang gezockt werden.
Coole Boomer in der BRD sind hingegen nachhaltig und bevorzugen das konsolenfreie Vintage-Wiki. Während einer endlosen Nazi-Doku auf Phoenix wollte ich letztens kurz mein Wissen zum Thema Goebbels auffrischen. Wo war der eigentlich hergekommen? Bei Wikipedia wurde das selbstverständlich korrekt erklärt, doch wieder überfiel mich der gefürchtete Wiki-Boomer-Zockrausch, Konzentration unmöglich, denn immer neue Welten erschienen auf dem hell leuchtenden Monitor.
Von Joseph kam ich umgehend zu Magda Goebbels. Laut Wiki Vorzeigemutter des Dritten Reichs. Klaro, aber sie war glatt vorher bereits verheiratet gewesen! Auf einer Bahnfahrt 1920 lernte sie den „Großindustriellen“ Günther Quandt kennen, den Opa der heutigen BMW-Besitzer. Krass. Heirat – und schon kam Sohn Harald zur Welt, doch als Günther erfuhr, dass seine Frau ihn betrog, warf er sie raus. Frisch geschieden besuchte Magda die NSDAP im Berliner Sportpalast und so weiter …
Return. Noch mal Quandts checken. Sohn Harald kam 1967 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und hinterließ eine Witwe namens Inge Quandt. Die tat sich dann mit dem ZDF-Auto-Journalisten Rainer Günzler zusammen. 1977 starb der. Okay, jetzt mal Schluss hier!
Nee, ging nicht, again ein absolut steiler Cliffhanger! Als nämlich 2013 „verschollene Ermittlungsakten“ des Mordes an der Frankfurter Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt auftauchten, wurde bekannt, dass dieser Günzler 1956 mit Gunter Sachs die Frau Nitribitt zu den Quandts gebracht hatte, zur Geburtstagsfeier von Inge! Crime-Sex-Friedhof in wenigen Klicks, glaube nicht, dass diese chinesischen Teenager das auch so draufhaben. Ha!
Nitribitt. Sie wurde nach ihrem Tod 1957 eine Berühmtheit. Als „Mädchen Rosemarie“. Die Kripo ermittelte ergebnislos unter anderem gegen Harald Quandt sowie Gunter Sachs, der später Brigit Bardot heiratet. No, jetzt nicht die Bardot. Return. Frau Nitribitt wurde in Düsseldorf beigesetzt. Der Schädel wurde allerdings einbehalten und im Kriminalmuseum Frankfurt ausgestellt. Also echt. Erst 2008 wurde auch der Schädel beerdigt. OMG! Spender finanzieren das Grab. Wer denn?? Endet die Geschichte hier? Nö.
Gepfiffen auf Heimbüro und Steuererklärung. Schließlich kann ich bei Wiki die Beiträge selbst „ergänzen“, full mega reality, und wenn es mich wieder die ganz Nacht kosten sollte. Das Ergebnis können sich die Millennials anschließend sauber in ihre Hausarbeiten kopieren, lol, smiley. Next Level Doktorarbeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!