Die Wahrheit: Scheidung im Hause Plumpsack

Genug ist genug! West- und Ostdeutschland sollten nach rund drei Jahrzehnten der Zwangsehe endlich getrennte Wege gehen.

Illustration: Zwei Männer, die sich gegenseitig anblöken

Illustration: Rattelschneck

Ihr seid ‚das Volk‘“, hallt es in Ost- wie Westdeutschland millionenfach durch die Straßen. Es klingt wie „Ihr seid scheiße“, und genau so ist es auch gemeint. Von Rügen bis zum Schwarzwald will niemand mehr „das Volk“ und schon gar nicht „ein Volk“ sein – jedenfalls nicht gemeinsam mit den Arschgeigen von der jeweils anderen Seite.

Die Anführungszeichen, die für eine verbitterte Ironie stehen, sind deutlich herauszuhören. Allzu sehr gemahnt „das Volk“ an eine schlimme Zeit, die man am liebsten vergessen würde. Doch nichts drängt sich zynischer in den Vordergrund als peinliche Erinnerungen: Schon der bloße Gedanke an die „Wiedervereinigung“, an Jubel und Feuerwerk, Sekt und Bananen lässt den Demonstrierenden die Schamesröte in die Gesichter steigen. Zu gern würden sie die Uhr auf den 9. November 1989 um 18.57 Uhr zurückstellen, und zwar sofort, unverzüglich.

Nun polarisieren Separationsbestrebungen in beiden Teilen des heterogenen Kunststaates „Gesamtdeutschland“, dieser Totgeburt eines irrlichternden Zeitgeists der neunziger Jahre, die Massen. Allerdings mehrheitlich an nur einem Pol: Über neunzig Prozent der Bevölkerung sind unbedingt für eine erneute „Zweistaatenlösung“, wie man im Nahen Osten bedienerfreundlich sagt, nur acht Prozent äußern sich zurückhaltender, dass sie sich „stark mit einer Teilung anfreunden“ könnten. Einem halben Prozent ist alles egal.

Die namhaftesten Architekturbüros der Welt punkten mit diversen Mauermodellen: Marmor oder Stacheldraht, Sitzheizung und Schirmchen zum Unterstellen, Selbstschusskonfettikanonen und einbetonierte Getränkehalter – erlaubt ist, was gefällt, Hauptsache, dicht! Der revisionistische Vorschlag ewiggestriger Gleichmacher, doch wenigstens hier und da ein Türchen einzubauen, um eine gelegentliche Passage von hier nach dort zu ermöglichen, wird zu Recht als inkonsequente Kackscheiße verworfen: Dafür bräuchte man keine Mauer, da könnte man auch gleich einen Perlenvorhang hinhängen.

Auch der Sex war nie besonders

Es ist schlicht genug. Gut dreißig Jahre lang hat man es jetzt mehr schlecht als recht miteinander versucht, vergeblich. Die meiste Zeit über war es ein arges Gewürge, gespickt mit Animositäten, verletzten Eitelkeiten und Missverständnissen auf beiden Seiten der Mauer in den Köpfen der Menschen. Und eigentlich war auch der Sex nie besonders. Nun reißt endlich wieder auseinander, was nie zusammengehörte.

Denn irgendwann muss auch der störrischste Esel, der dümmste Ehepartner, das verbohrteste Land einsehen, dass es einfach nicht passt. In einer Zwangsehe liegt nur im seltensten Fall das Glück. Körperliche und seelische Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Es war damals schon ein Riesenfehler, es nach vierzig Jahren konstruktiver Trennung noch einmal miteinander zu versuchen. Da hatte man sich doch längst auseinandergelebt. C’est la vie, und lasst uns bitte keine Freunde bleiben – solche Postbeziehungslügen verlängern nur unnötig den Schmerz, den ja auch ein heilender Schnitt verursacht. Die Wege trennen sich, auf Nimmerwiedersehen!

Nun wollen beide Seiten mit dem gesammelten Wissen aus den vergangenen dreißig Jahren noch mal ganz von vorne anfangen. Die deutsche Wiedertrennung gilt als historische Chance zur Restaurierung des inneren und äußeren Friedens. Als Termin für den „Tag der Deutschen Zweiheit“ ist schon mal symbolträchtig der 9. November angedacht: Der Tag des größten Unglücks soll so zum Tag der größten Freude umgemodelt werden. Und als ob die Aussicht auf eine Zukunft ohne nervtötendes Gezeter nicht Belohnung genug wäre, soll jede Bürgerin in Ost und West hundert Euro Verabschiedungsgeld erhalten.

Schnell findet sich auch der sogenannte Eckige Tisch, an dem die Details der Scheidung wie das Besuchsrecht für die gemeinsamen Kinder (Hauptstadt Berlin, AfD, Ampelmännchen) ausgehandelt werden. Die Familienautos (VW, BMW, Mercedes, Audi etc.) werden dem Westen, die Haustiere (Wildschwein, Wisent, Wolf) dem Osten zugesprochen, die gemeinsam gemachten Schulden aus Bankenkrise und Pandemie halbe-halbe gerecht geteilt.

Östlich der schließlich von dem Architekturkonsortium Gerkan, Marg und Partner als elegant schwebende Spanische Wand konzipierten „Mauer der himmlischen Harmonie“ gelangen Bitterfeld und Leuna zurück zu alter Blüte. Im Westen wird Vergewaltigung in der Ehe endlich wieder erlaubt sein – das waren schon reichlich trübe Jahre seit den Neunzigern, eine derart menschenfeindliche Epoche möchte man auf westdeutschem Boden bitte nicht noch mal erleben.

Windelweiche Weiberstreichler

Heil, äh, High Five zwischen Erika Steinbach, Horst Seehofer und Friedrich Merz, die damals im Bundestag vergeblich das gottgegebene Recht des Ehemanns auf jederzeitigen Vollzug der Ehe gegenüber einer windelweichen Bande atheistischer Weiberstreichler verteidigt hatten. Die Freude im ganzen Land ist groß: Bald werden Ost und West wieder nichts anderes als Himmelsrichtungen sein. Dann wacht hier die Stasi und dort Wachtmeister Dimpflmoser – wie es sich gehört.

Kurz vor dem Ende der Verhandlungen erfolgt jedoch die große Ernüchterung: Ohne Zustimmung der internationalen Gemeinschaft kann es keine deutsche Wiedertrennung geben, und die Drohung der Alliierten, im Fall einer Teilung unser verrücktes Land endgültig zu entmündigen, schiebt dem Vorhaben leider den Riegel vor. Denn längst haben die anderen Staaten erkannt, dass ihnen von diesem zerstrittenen Scheißhaufen weit weniger Verdruss droht als von den sich im Inneren einigen und daher viel gefährlicheren Einzelteilen.

Was kann hingegen dieser schwerfällige Riese schon groß anrichten, ein Elefant ohne Beine, ein Wal auf dem Trockenen, das einzige „Erstwelt“-Land auf dem Planeten ohne verlässliches Internet und Mobilfunknetz, und wo die Frage „Kann ich mit Karte zahlen?“ noch in bangem Ernst gestellt wird und keine im Scherz zitierte Anekdote aus Opas Zeiten ist?

Nun bleibt man wohl in alle Ewigkeit dazu verdammt, Tisch, Bett und Regierung miteinander zu teilen. „Ihr seid das Volk“, wimmert es nur noch leise, heiser und immer kläglicher, bis bald auch die letzten Laute von einer immerwährenden Finsternis verschluckt werden.

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kari

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