Die Wahrheit: Klappe auf, Affe weg
Zehn Makaken brechen dreimal aus einem Tierpark aus. Was sagen die Kollegen Lama, Wolf und Co dazu? Ein investigativer Besuch im Zoo.
Metallstäbe werfen lange Schatten auf das grüne Gras im Gehege. Eine frische Frühlingsbrise weht den Duft von Freiheit und das kräftige Odeur des nahe gelegenen Zebrastalls herüber. Die Berberaffen aber schweigen. Gemütlich hocken sie auf den Steinbrocken, lausen ausgelassen ihr Zottelfell und kraulen sich gegenseitig stolz an teils durchaus unschicklichen Stellen. Seit zwei Stunden versuchen wir erfolglos, die Makakenhorde zu ihren gelungenen Fluchten zu befragen.
Dreimal innerhalb eines Monats sind die Affen aus dem Tierpark im baden-württembergischen Löffingen geflohen und lösten keine Alarmanlagen, aber ein großes Medienecho aus. Anschließend zogen sie durch die Straßen des Orts, versteckten sich im Wald oder kletterten – eine entführte Frau in ihrer Gewalt – auf das Empire State Building, wie unsere Recherchen auf Youtube nahelegen. Nur durch geschickte Einsatztaktik konnte die Polizei die Lage wieder in den Affengriff bekommen: „Hände hoch! Egal, ob die Opponierbarkeit des Daumens evolutionär bereits erreicht wurde oder nicht!“
Wie den prima Primaten der Ausbruchs-Hattrick gelang, weiß niemand. Zur Entschlüsselung fehlt ein Missing Link, nämlich jener zwischen „Sind noch im Gehege“ und „Sind schon wieder nicht mehr im Gehege“. Auch uns verrieten die Ausbrecherkönige trotz geschickter Bestechungsversuche mit Bananenbrot nichts. Vielleicht sind andere Zoobewohner gesprächiger.
Der Wolf hat im groß angelegten Freigehege gegenüber sein Revier. Normalerweise menschen- wie medienscheu, macht der graue, stattliche Rüde namens Peter für uns eine Ausnahme: „In der Berichterstattung bin ich sonst immer das schwarze Schaf im Wolfspelz. Jetzt sorgt endlich mal ein anderes Tier für Schlagzeilen!“ Laut stößt er ein freudiges Heulen aus.
Unautorisierte Öffnungsschritte
Peter glaubt, dass sich die affigen Escape-Eskapaden schlecht auf das Image der quirligen Nachbarn auswirken werden. „Es kommt sicher nicht gut an, während einer Pandemie in Eigenregie unautorisierte Öffnungsschritte zu wagen. Wobei ich die Berberaffen keinesfalls in die Nähe der ‚Querdenker‘-Szene rücken möchte. Dafür sind die Makaken zu intelligent.“ Wie die Affen ausreißen konnten, ist allerdings auch ihm ein Rätsel. „Fragt am besten Mimi. Die weiß immer, welche Pläne hier gesponnen werden.“
Mimi ist die parkeigene Riesenvogelspinne, wohnhaft im Terrarienhaus. Auf einem großen weißen Schild steht ihr lateinischer Artname, der klingt, als hätte Adolf Hitler seine Hausspinne benannt: „Theraphosa blondi.“
Sanft klopfen wir an die Glasfront und nennen ihren Namen. Nichts geschieht. Erst als wir ihr zurufen, Peter der Wolf habe uns geschickt, schieben sich acht lange, haarige Beine aus der Erde, und ein dreißig Zentimeter großes Wesen kriecht hervor. Keine zwei Minuten später sind wir alten Arachnophobiker aus unserer Ohnmacht erwacht und plaudern angeregt mit Mimi. Vergnügt hat sie sich auf einem Baum niedergelassen, ihre kastanienbraunen Beine übereinandergeschlagen und schlürft genüsslich ein kleines Insekt aus.
„Jaha, dieser Affentrupp dreht oft krumme Dinger, vor allem Bananen“, lacht sie in schrillem Ton und reibt aufgeregt ihre Pedipalpen. „Auf die Rasselbande muss man ständig ein Auge haben. Gott sei Dank habe ich acht davon, dann kriegt man einiges mit!“ Verschwörerisch lehnt sie ihr prächtiges Prosoma in unsere Richtung und flüstert: „Die Äffchen planen, sich zu einem Cousin bis nach Gibraltar durchzuschlagen. Deutschland wollen sie nämlich unbedingt verlassen.“
Makakische Auswanderungswelle
Den Grund für die makakische Auswanderungswelle vermutet Mimi ganz andernorts. Schuld seien Fernsehsendungen wie „Hart aber fair“, „Anne Will“ und „Markus Lanz“. „Es ist gerade sehr ruhig im Zoo, wenige öffentliche Fütterungen, viel Zeit, um fernzusehen. Und diese leichtsinnigen Meerkatzenverwandten bingten sämtliche Talkshows zum Thema ‚K-Frage in der Union‘. Und wer will schon in einem Land leben, in dem so ein Affenzirkus möglich ist?“
Auf unsere Nachfrage, wie der Ausbruch gelang, zuckt Mimi bloß mit ihren acht Achseln. „Keine Ahnung! Doch glaubt einer alten Webspinne wie mir: Die ganze Sache war von Anfang an ein Hirngespinst“, seufzt sie kopfschüttelnd und bietet uns noch ein Insekt an, das wir dankend ablehnen. Drei waren wirklich genug.
Einen Tiger, zwei Löwen, zwölf Zebras, vier Kudus, acht Nandus und drei Wapitis später haben wir fast alle Gehege abgegrast. Den geheimen Tricks der Affen sind wir keinen aufrechten Schritt näher gekommen. Unsere letzte Hoffnung ist Johnny, das Lama, dessen Gatter unweit des Ausgangs liegt. Als wir ihn nach den Makaken fragen, streift er sich mit einem Paarhuf keck den braunen Pony aus den Augen und spuckt uns lässig vor die Füße. „Mit einem Hals wie dem meinen hat man immer den Überblick. Und ich sage: Diese Lackaffen sind Rampensäue! Durch Corona hatten sie kaum Publikum, kriegten wenig Aufmerksamkeit. Aber dank der Ausbrüche standen sie plötzlich in der Zeitung … Na ja, wenigstens machten sie keine ironische Videoaktion.“
Nur wie sie es schafften, sich heimlich abzuseilen, weiß Johnny auch nicht und spuckt uns zum Abschied eine Extraportion Lamaschleim auf die Schuhe. Die Ausbruchsrouten der Berberaffen bleiben also weiterhin ein Geheimnis. Erschöpft, doch reich an tierischen Eindrücken verlassen wir den Wildpark. Dass sich zwei Affen in unserer Umhängetasche versteckt haben, fällt uns selbstverständlich erst auf, als es schon längst zu spät ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt