Die Wahrheit: Der Vornachrufer
Ein Affe soll gewürdigt werden. Schon zu Lebzeiten. Mit einer feierlichen Huldigung seines Wirkens und seiner Verdienste. Das ist Fernsehen …
E in Cutter beim Fernsehen ist so etwas wie der Schnitter im wirklichen Leben. Der Sensenmann beendet schließlich auch jeden persönlichen Film des Lebens.
Schnitt. Schlaftrunken im Schnittraum. Ich arbeite seinerzeit als Editor bei einem privaten Fernsehsender. Was so etwas ist wie ein Cutter beim Film. Eine der unangenehmsten Tätigkeiten dabei sind Nachrufe. Die meisten werden noch zu Lebzeiten der Prominenten verfasst. Es gibt reizvollere Beschäftigungen, zum Beispiel sich ohne Betäubung die Weisheitszähne ziehen zu lassen.
Schnitt. Auftritt gut gelaunter Redakteur. Nennen wir ihn: Herr B. Drucksend erklärt B., einen etwas eigenartigen Nachruf produzieren zu wollen – über einen Bono, also nicht den Bono von U2, sondern einen 23 Monate alten Affen, dem wohl kein langes Leben mehr bevorstünde.
Schnitt. Abgang des Redakteurs. Auftritt junge Kollegin. Nennen wir sie: Frau J. Etwas überdreht wechselt J. gern innerhalb von wenigen Atemzügen zwischen überglücklichen Gefühlen und tiefster Depression. Also eine typische Fernsehnase. Frau J. ist begeistert, mit mir zu arbeiten. Jedenfalls tut sie so. Vielleicht weil sie glaubt, ich würde „die nötige Emotionalität mitbringen, um dem Thema gerecht zu werden“. Wie die Frau J.s dieser Fernsehwelt eben so daherreden.
Schnitt. Einschalten des Computers. Herr B. schaut grinsend wie der Tod herein und teilt uns mit, dass Klaviermusik erlaubt sei. Frau J. bekreuzigt sich strahlend. Gefühlige Pianowerke sind sonst strengstens verboten. Ich starte ein vor sich hin plätscherndes Klavierstück. Musik zum Wasserlassen. Schon bricht Frau J. in Tränen aus. Aus unerfindlichen Gründen muss auch ich mit den Tränen kämpfen.
Schnitt. Frau J. bekommt eine Nachricht und schreit auf. Ist es Freude oder Trauer? Sie sagt nur knapp, ein Handwerker käme am Abend vorbei, um eine Steckdose zu reparieren. Frau J. lächelt. Mir wird mulmig. Ich beginne Affenbilder auf die Musikspur zu legen.
Schnitt. Konzentriertes Arbeiten. Keine Pause. Niemand stört. Doch irgendwo hat es sich herumgesprochen, dass ein herzergreifendes Stück erarbeitet wird. Immer mehr Zuschauer gesellen sich zu uns in den stickigen kleinen Raum. Ich drücke auf die Leertaste, um den Film zu starten. Frau J. liest bedacht den Text. Jemand schnaubt sich gerührt die Nase, ein anderer schluchzt leise, eine dritte holt ergriffen tief Luft, schließlich brechen alle Dämme. Alle heulen los.
Schnitt. Frau J. strahlt vor Glück. Tränen kullern ihre Wangen herunter. Plötzlich ruckelt mein Bildschirm und das Programm stürzt ab. Der ganze Schnitt ist weg. Jetzt heule auch ich. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Schnitt. End-Emo. Jeder Film braucht am Ende eine Happy Emotion. Vor vier Jahren wurde der Film produziert und bis heute nicht ausgestrahlt. Der Bonobo erfreut sich immer noch bester Gesundheit. Im Gegensatz zu den vollkommen überdrehten Leuten beim Fernsehen.
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