Die Wahrheit: Taube Nuss nach Hausfrauenart

Als renitenter Teenager will man auf alles verzichten, was den Alltag leichter macht: Autofahren und Kochen. Später sieht das anders aus.

Meine Mutter, die ich hier fünfzehn Jahre nach ihrem Tod noch einmal würdigen möchte, war eine gute Hausfrau. Das bedeutete zum Beispiel, dass sie ohne Rezept kochen konnte, seit sie vor ihrer Hochzeit einen Kurs besucht hatte. Mit Rezept interessierte sie dann später eher weniger.

Weil ich um keinen Preis eine deutsche Hausfrau werden wollte, hielt ich es als Jugendliche für eine prima Idee, das Kochen komplett zu verweigern, aber nur so lange, bis ich in meinem ersten familienfreien Urlaub vor meinen Freunden als Vollniete dastand. Nicht jeder möchte immerzu Nudeln mit Tomatensoße essen, und das mit Cayennepfeffer überwürzte zähe Gulasch schaffte es leider nicht unter die kulinarischen Top Ten der Ferienwohnungsküche.

Autofahren hatte ich übrigens auch nicht gelernt, aber nicht aus Prinzip, sondern aus Feigheit. Ich dachte, es genüge, einfach vorhanden zu sein. Weitere Qualifikationen für Alltagstauglichkeit zu erwerben, erschien mir als bösartige Zumutung der bürgerlichen Gesellschaft.

Nach dem Urlaub knickte ich ein, machte den Führerschein und bat meine Mutter um Unterweisung in der Küche. Sie versuchte nun, mitzuschreiben, wenn sie kochte und buk. Das machte ihr Probleme – nicht, weil sie nicht schreiben konnte, sondern weil Kochen für sie etwas war, das sich der Umsetzung in Grammangaben und nachvollziehbare Schritte entzog.

Kochen + Pellen

Dass sie mich heimlich für eine ziemlich taube Nuss hielt, merkte ich, als ich im handschriftlichen Rezept für ihren legendären Kartoffelsalat sah, wie sie „Kartoffeln pellen“ für mich verbessert hatte in „Kartoffeln kochen und pellen“. Trotz dieser Fürsorge brauchte es Jahre, bis ich den Salat so hinbekam, dass er ihrer Version ähnelte; vielleicht weil die Niederschrift immer noch ein paar Ungefährs und Je-Nachdems aufwies, die mich damals wahnsinnig machten, mir aber heute einleuchten.

Denn inzwischen wecken Standardrezepte meinen Widerspruchsgeist: Wieso 150 Gramm Mehl, wieso nicht 147,5 Gramm? Wer hat sich das ausgedacht? Die Gesellschaft zur Förderung runder Summen? Und warum kann man dann gleichzeitig wichtigtuerisch von „gestrichenen Teelöffeln“ schwafeln, wie wenn es sonst was wäre; seit wann haben wir denn eine Bestecknorm? Überhaupt, was ist mit der Tagesform der Kartoffeln, der Laune der Köchin und der Hintergrundmusik bei der Arbeit? Das muss man doch alles berücksichtigen!

Warum steht nirgends: Wenn Sie mal wieder nicht alles im Haus haben, Sie kopflose Person, lässt sich das Mehl zum Teil durch gemahlene Nüsse ersetzen, die Petersilie durch Giersch und die Gewürzmischung durch eine Prise Es-kommt-nicht-so-drauf-an? So entstehen nämlich meine Gerichte. Alles Eintagsfliegen, aufschreiben lässt sich das auf gar keinen Fall. Das wäre auch sinnlos, denn keines schmeckt so gut wie bei meiner Mutter.

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Susanne Fischer schreibt Romane und Kinderbücher und arbeitet als Geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung und des Deutschen Literaturfonds e.V., letzteres ehrenamtlich. (FOTO: THOMAS MÜLLER)

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kari

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