Die Wahrheit: Bedrohte Wiggles
Neues aus Neuseeland: Was für die Deutschen der Ohrenterrorist Rolf Zuckowski ist, sind die „Wackler“ down under.
W enn man als junge Eltern in ein fremdes Land einwandert, immigriert man auch in eine neue Kinderkultur. Buzzy Bee ist eine Biene, die als Kiwi-Ikone schon Prinz William in die Wiege gelegt wurde. Statt Gummibärchen gibt es Milk Bottles, und statt Bullerbü wird Hairy Maclary vorgelesen. Der heftigste Kulturschock ist Kindermusik. Wer bereits unter Rolf Zuckowski litt, wird in der neuen Heimat mit den Wiggles gefoltert.
Die Wiggles („Wackler“) sind der größte Musikexport Australiens – böse Zungen und arme Ohren behaupten, auch der schlimmste. In ihrer Glanzzeit spielten die vier Entertainer im infantilen Star-Trek-Look rund 45 Millionen Dollar pro Jahr ein. Ihre Videos wurden zigmilliardenmal geguckt. Jedes Kiwi-Kid, das nicht in einer Hobbit-Höhle aufwuchs, ist den Wiggles irgendwo begegnet.
Die Pandemie hat uns zwar Touristen genommen, aber sie hat dafür Weltstars ins Land gebracht: RuPaul zeichnet gerade eine Staffel seiner Drag-Show in Auckland auf, und die Besatzung für den neuen „Avatar“-Film durfte aus Hollywood einreisen. Für sie wurden Ausnahmen gemacht. Denn nur „critical workers“ dürfen zurzeit einreisen – deren Anwesenheit nötig ist oder anderen Jobs verschafft, zum Beispiel im Film.
Die Wiggles kündigten Ende letzten Jahres ihre Neuseeland-Tournee an. 40.000 Karten waren bereits verkauft, als sich zwei Monate später herausstellte, dass die blau-gelb-rote Band und ihre Crew noch nicht all ihre Quarantäneplätze gebucht hatte. Jeder, der einreist, muss zwei Wochen lang isoliert im Hotel absitzen, um keinen Virus einzuschleppen. Die Zimmer sind knapp, die Nachfrage ist groß.
Die Gute-Laune-Truppe bettelte bei Politikern um eine Ausnahme – ihre Konzerte standen auf der Kippe. Die Konservativen wollten ein Auge zudrücken, aber Premierministerin Jacinda Ardern kritisierte den Tour-Veranstalter: „Hängt keine Poster auf und verkauft Tickets, bevor ihr euren Quarantäneplatz gebucht habt.“ Irgendjemand half dennoch. Die Wiggles wackelten ins Land.
Heute ist der letzte Tag ihrer Tournee, die im südlichen Invercargill mit dem neuen Album „Choo Choo Trains, Propeller Planes and Toot Toot Chugga Chugga Big Red Car“ begann. Die Halle war voll, Kinder und Eltern rasteten vor Begeisterung aus – Wiggle-Mania! Ausgerastet sind aber nicht nur die Fans. In einem Fernsehauftritt sagte der blaue Wiggle, Anthony Field, dass seine Band per E-Mail Morddrohungen erhalten hatte.
Wer Quarantäneplätze bekommt und wer nicht, ist im sonst so friedlichen Aotearoa heiß umstritten. Dass im März 1.000 Besucher für den America’s Cup einfliegen durften, passt vielen nicht – und dass Top-Athleten zu den Olympischen Spielen nach Japan fliegen dürfen, auch nicht. Der nächste Eklat bahnt sich an: 50 Einreisevisa wurden an indische Familien vergeben. Sie reisen als Braut oder Bräutigam für arrangierte Ehen ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“