Die Wahrheit: Mit der Nadel am Arm
Wenn der Heuhaufen ein Sofa ist, in dem man die Nadel sucht und die Geschäfte dicht sind: Dann ist heißa Lockdownzeit, aber lesen Sie selbst …
F alls Sie sich noch erinnern können: Früher ließen sich Möbel und andere nützliche Gegenstände in einem Geschäft kaufen. Man fuhr zu einem dunkelblauen Klotz namens Ikea, durchschritt die vollgestellten Gänge und erwarb Sofas, Stühle, Tische und allerlei Krimskrams, der in der Grabbelschneise zwischen den Rolltreppen lauerte.
Weil Möbelhäuser, Floh- und Baumärkte coronabedingt inzwischen für den Vorortkauf dicht bleiben, helfen nur noch Kleinanzeigenportale. Meine Freundin hat aus „Schauen wir mal, was es so gibt“ eine Obsession entwickelt. Wegen der schieren Anzahl von Browsertabs wich sie bereits frühzeitig auf ein Textdokument aus. Es umfasst mehrere Bände.
Bei Ebay etwa stößt man auf unbegrenzt Schräges. So inseriert ein User dort den „unsichtbarmachenden Harry-Potter-Tarnumhang mit Echtheitszertifikat“ für 500 Euro, andere bieten eine handzahme Stubenfliege für einen Euro oder einfach mal 15 Tonnen Knoblauch feil. Auch bei den beinharten Verkaufsgesprächen lassen sich diese Verkäufer nicht lumpen. „Hallo, ist da die Kommode?“ – „Nein, hier ist Arne.“
Ich selbst schrieb über Monate mit einem Zeitgenossen, der seine Filmsammlung nur in einem wöchentlichen Fünf-Minuten-Slot verkaufen konnte. Zum Antworten ging er jedes Mal in ein Internetcafé. Auf seine Meldung, ob er nun endlich mal Zeit hätte für den finalen Verkauf, warte ich bis heute.
Auf diesem digitalen Bazar fand meine Freundin in ihrem Kleinanzeigenfundus schließlich eine schicke Klappcouch im hippen Berlin-Neukölln, Zustand „quasi wie neu“. Am Abend vor der vereinbarten Abholung gestand uns die Verkäuferin dann per Chat, dass ihr etwas „total Blödes“ passiert sei. Um sich von der Couch gebührend zu verabschieden, hätte sie eine Freundin zum gemeinsamen Nähen eingeladen.
Im Laufe des Sewing-Class-Events, wie es mitunter in Neukölln heißt, sei eine richtig fette Nadel hinabgefallen und zwischen die Couchkissen geplumpst. Stundenlang, so beteuerte uns die Verkäuferin, hätte sie mit ihrer Nähkumpanin nach der Nadel im Kissenhaufen gesucht. Bezüge wären abgestülpt, Polster ausgeschüttelt und ausgeklopft worden, doch: nichts. Die Nadel war in den Stofftiefen verschwunden.
Es tue ihr ja wirklich leid, schrieb unsere Verkäuferin, sie gebe darob einen Preisnachlass – für 50 Euro gehöre die Couch uns. Das ist okay, dachten wir, und holten das gute Stück ab. Als Bonbon bekamen wir noch eine Pulle Reinigungsspray obendrauf.
Zu Hause machten wir uns sofort auf die Suche nach der Nadel. Doch auch wir fanden: nichts. Ich opferte mich für den finalen Selbstversuch und schlief auf dem stacheligen Teil. Unwohl wälzte ich mich nachts hin und her, träumte von Arztbesuchen und riesigen Spritzen, alles in der ständigen Angst, mir am metallenen Nadelkissen die Augen auszustechen. Doch es pikste nirgends. Das, das wird dann wohl das Los künftiger Gäste sein.
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