Die Wahrheit: Im Lande Krempel
Tagebuch einer Ausmisterin: Wie soll im zweiten Lockdown bloß der ewige Kreislauf aus Kaufen und Wegschmeißen aufrecht erhalten werden?
N un müssen also die Glühweinpanscher ihr Gesöff alleine trinken, und trotz des panikartigen Binge Shopping der letzten Tage bleibt der sogenannte Handel auf turmhohen Warenbergen sitzen. Wie sollen wir nun nach dem großen Aufräumen im Frühjahrs-Lockdown die Lücken zu Weihnachten wieder mit Krempel auffüllen, damit der Kaufen-Ausmisten-Kreislauf im Lockdown zwei gesichert ist?
Jetzt schlägt die Stunde der Onlineshops, besonders die der Tageszeitungen, wahre Schlaraffenländer, in denen versierte Schenkende zielgenau die passende Beigabe für künftige Entrümpelungen finden. Blättert man in der Beilage der Zeitung A, wird dort säuberlich nach Geschlecht getrennt. „Für Sie“ gibt es einen Holzaffen mit Weihnachtsmütze für entspannte 130 Euro, die Mütze kostet natürlich extra. Der Kerl, der mir so was schenken würde, bekäme lebenslanges Hausverbot.
Im weiteren Angebot finden sich erstklassige „Das kann dann mal weg“-Kandidaten wie das jeden Willen zur Form vermissen lassende Kollier oder der LSD-Trip-artig geblümte Kissenbezug. „Für Ihn“ hingegen wird das „Do it Yourself Whisky Set“ empfohlen. Klar, nach Vorstellung der Geschenkeverteiler im Zeitungsshop sind Frauen ja zu blöd, mit Flüssigkeiten zu hantieren, soll „Sie“ sich doch über eine Decke mit dem charmanten Namen „Olle“ freuen und sich die über den Kopf ziehen.
Zeitung B lockt mit einem Sortiment für alle Geschlechter, darunter mit einer „Liaison aus Zuchtperlen und Lapislazuli“, die nur als unheilig bezeichnet werden kann, sowie einer „School of Life“-Büchersammlung. Diese „überrascht durch sehr unterhaltsame und vitalisierende Antworten“ auf brennende Fragen wie „Warum sie die falsche Person heiraten werden“, wirbt aber gleichzeitig mit „Vertraue Dir“. So viel Widerspruch kann nur im Alkohol ertränkt werden, und der fließt auch hier in rauen Mengen.
Der heißeste Scheiß ist Gin, darunter ein Gebräu „aus regionalen Zutaten wie Haferstroh, Apfelbeeren, Akazienblüten, Klee und Gänseblümchen“ – ach ja, Wacholder ist auch drin. „Ein Gin, der erstaunlich harmonisch und doch originell, aber immer lecker und authentisch“ ist. Sorry, aber ich hab schon mein eigenes Rezept aus Kuhdung, wilden Maiglöckchen, Lakritz und einem Schuss Lavendel-Flüssigseife. Und natürlich Wacholder! Experimentell und urwüchsig mit einem authentischen Hauch von Rindvieh.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier will übrigens die Zukunft unserer innerstädtischen „Einkaufskultur“ retten. Die zeigt sich gerade in meiner Fußgängerzone, wo neben einem Laden, der bereits denselben Mist verkauft, ein weiteres Plastikschrottparadies eröffnet hat. Und – Tusch! – „auf der Erde gibt es heute mehr menschengemachtes Material als Biomasse. Allein die Masse allen Plastiks ist größer als die aller Land- und Wassertiere.“ Quelle: das Fachmagazin Nature.
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