Die Wahrheit: Die eiskalte Pilzkocherin
Der Wahrheit-Mini-Krimi hoch vier. Die in höchstem Maße grausigen Morde an Herrn Ronald Feist. Heute Folge 2: Die Verdächtige Isolde Schmidtsiefen.
Was bisher geschah: Die Nachbarschaft ist in freudiger Erregung. Herr Ronald Feist, der Mann, der schon um 6.30 Uhr laut schimpfend Mülltonnen mit einem Geodreick und einer Wasserwage in ihre ordnungsgemäßen Winkel verfrachtet; der Mann, der mit Pinzetten böse fluchend eingebildeten Unrat aus den Bordsteinen rupft und dabei schreit: „Das werde ich melden! Das werde ich alles melden!“; der Mann, der täglich sämtliche Autos in seiner Straße auf eventuelle Vogelkacke kontrolliert und dann mit Siegesgeschrei tobend verkündet: „Alle Autos sind befallen! Und die Scheißvögel stehen noch unter Naturschutz!“; der Mann, der im Waschkeller unermüdlich überprüft, wer wie oft wäscht, und daraus Rückschlüsse darüber zieht, wie oft wer seine Unterhosen wechselt, und seine Ermittlungsergebnisse jedem aufdrängt; dieser Mann also ist noch immer verschwunden. Die Polizei hatte bereits einen ersten Verdächtigen festgenommen.
Der erfahrene Kommissar Friedemann Brandtstätter und seine junge Kollegin Kassandra Birnbaum haben sich in den Fall verbissen und die Witwe Isolde Schmidtsiefen (52), die seltsame Mieterin, die in der Wohnung direkt unter Ronald Feist wohnt, zum Verhör auf das Revier vorgeladen. Doch die Schmidtsiefen erscheint nicht, daher rollt das Polizeikommando nun direkt ins Dorf, um der säumigen Verdächtigen Beine zu machen!
Einfaches Klopfen an Schmidtsiefens Tür führt zum sofortigen Erfolg: Eine hochgewachsene, schwarz gekleidete und hagere Gestalt öffnet. Mit einem kalten und zugleich undurchschaubaren Lächeln bittet Schmidtsiefen die Ermittler in ihre Wohnung und bietet ihnen Sitzplätze und Kekse an. Ihr onduliertes dunkelgraues Haar liegt in strenger Ordnung um ihr pferdeartiges Gesicht, und den gestreckten Hals ziert ein kleiner weißer Kragen. Lange Minuten, die den Kommissaren wie Stunden erscheinen, blickt sie die Besucher aus ihren eisigen Augen an, bis Birnbaum schon unbehaglich auf dem Polster ihres tiefen Sessels herumzurutschen beginnt.
Geruch nach Mottenkugeln und Pilzen
Brandtstätter hat es anscheinend die Sprache verschlagen. Unruhig blickt er in der altmodischen Ausstattung des mausoleumsgleichen Domizils herum, und der alles überlagernde Geruch von 4711, Lavendelkissen, Mottenkugeln und Pilzen raubt ihm fast den Atem. Dann hebt die Schmidtsiefen von sich aus zu sprechen an.
„Nun, wir brauchen nicht lange um den heißen Brei herumzureden, Reden scheint ja ohnehin nicht Ihre größte Begabung zu sein. Ich weiß natürlich, warum Sie hier sind. Es war eine Unverschämtheit von Ihnen, mich auf Ihre Polizeistation zu laden, eine unerträgliche Impertinenz war das. Glaubten Sie wirklich, eine Persönlichkeit wie mich in Ihre schäbige Beamtenstube zitieren zu können?
Ich gebe hier und jetzt alles zu: Ich habe eine Pilzzucht in der Vorratskammer, wo ich nicht nur gesunde Pilze züchte, und eine Messerschmiede im Kleiderschrank. Der Feist hat einfach einmal zu viel aus seinem armseligen Schuppen heraus mit lüsternem Blick in mein Wohnzimmer gestarrt. Er war ja im gesamten Dorf bekannt dafür, jedem Rock hinterherzujagen. Da habe ich ihn zu mir eingeladen und ein leckeres Pilzragout mit allerlei Kräutern zubereitet. Ich habe jahrzehntelange Erfahrung mit Pilzen und Kräutern, deren Verzehr einen sehr schmerzhaften und langsamen Tod zur Folge hat. Und glauben Sie mir: Langsam und schmerzhaft war es.“
Bild des verstorbenen Gatten
An dieser Stelle beobachtet Brandtstätter zum ersten Mal ein vergnügliches Zucken um den linken Mundwinkel der Schmidtsiefen, und er sieht, dass die Witwe einen verklärten Blick auf das schwarz umrandete Foto eines recht bauchigen Mannes mit Zylinder wirft – vermutlich ihr verstorbener Gatte. Birnbaum indes zieht langsam ihre Hand zurück, mit der sie gerade nach den merkwürdig duftenden Keksen greifen wollte.
Und die Schmidtsiefen spricht weiter: „Während Feist sich noch ächzend und jammernd auf meinem echten Perserteppich wälzte und um Erlösung bettelte, schmiedete ich in meinem Kleiderschrank das stumpfste und gezackteste Messer meiner gesamten Schmiedelaufbahn und stach genau sieben Mal auf ihn ein und drehte dabei jedes Mal bedächtig die Klinge in seinem Körper, bis er röchelnd und stöhnend seinen letzten Atemzug tat. Die Leiche habe ich an die Schweine verfüttert.“
Hier horcht Brandstätter alarmiert auf und ruft wie verwirrt: „Welche Schweine? Hier gibt es doch gar keine Schweine! Und auf dem Perserteppich ist kein Blut!“
Er wirft Birnbaum einen vielsagenden Blick zu, der ausdrückt: „Wir verschwenden hier nur unsere Zeit.“ Birnbaum versteht sofort, und die Kommissare verlassen die Behausung der nun nicht mehr Verdächtigen. Die Schmidtsiefen ruft ihnen noch mit schnarrendem Kichern nach: „Aus Ihnen beiden wird demnächst ein Liebespaar!“
Kassandra Birnbaum errötet, und Kommissar Brandstätter murmelt mit Gänsehaut auf den muskulösen Armen: „Das ist ein Weib, wie auserlesen, zum Kuppler- und Hellseherwesen …“ Zu Birnbaum sagt er laut: „Als nächstes sollten wir uns mal den schrägen Computerfreak aus dem dritten Stock vorknöpfen, den mit der illegalen Welpenzucht …“
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