Die Wahrheit: Der letzte Schnitt
Ein Leben ohne Rasenmäher ist möglich, aber die Stellung in der provinziellen Öffentlichkeit ist wacklig ohne passende Gartengerätschaften.
B ald ist es wieder soweit, dann ist der letzte Schnitt gemacht. Der letzte Rasenschnitt. Nun beginnt die dunkle Jahreszeit, denn die Wiese ist gemäht. Das Grün ist getrimmt. Für viele Monate. Erst im Frühjahr, auf keinen Fall vor März, kann das Gras wieder geschnitten werden. Hier könnte der Klimawandel helfen, und Mähen ab Februar ist längst nicht mehr Wahn oder Vision, sondern nächste Zukunft.
All die manischen Rasenmäher und -mäherinnen haben nun eine Zeit des Entzugs vor sich, eine Zeit der Traurigkeit. Selbst Biotonnen welken. Wer mit der seinen in guter Beziehung steht, wird, wenn sie sich denn mal öffnet, sehen, wie sich tiefe Leere in ihr ausbreitet. Hier wäre Platz für Schnitt und Grün. Dreizehn Prozent aller Verletzungen bei Arbeiten an Haus und Garten, heißt es, entstehen durch das Umstürzen mit der Biotonne, wenn jemand hineingestiegen ist, um das Gras festzutreten und niederzustampfen, um sie optimal zu befüllen.
Ich war nie ein Schnitter, der der Schnecke den Tod brachte. Ich hatte ein gutes Leben. Jahrzehnte wohnte ich nicht mehr in der ostwestfälischen Heimat, sondern in veritablen Großstädten, in denen nur an wenigen Tagen des Herbstes einige Laubpuster von der bloßen Existenz der Natur zeugen.
Nun aber bin ich zurück im Ländlichen und lausche dem vielstimmigen Chor von Motor-, Elektro- und Akkumähern, und dass die einen leiser sein sollen als die anderen, ist ein Gerücht. Hier gelten die Worte von Konfusion, dem großen ostwestfälischen Weisen: „Ich mähe, also bin ich!“
Ich war immer anders. Alle Gartenarbeit habe ich gehasst, vor allem, weil wir einen großen Garten hatten. Mit heutigem Vokabular: In meiner Kindheit waren wir „Selbstversorger“, und alles war „bio“. Ich holte mit der Schubkarre den Mist vom Bauern und grub ihn unter. Das liegt Jahrzehnte zurück, holt mich nun aber ein.
Mir fehlt die Kontinuität einer angemessenen Gartenkarriere. Meine Stellung in der hiesigen Öffentlichkeit ist wackelig, denn ich bin unverheiratet und, schlimmer, ich besitze keinen eigenen Rasenmäher. Besaß! Nun ist wirklich alles anders. Ich bin ein vollwertiges Mitglied in der Gemeinschaft der Rasenmäherbesitzer.
An meinem Haus ist ein Minirasenstück. Ich habe mir einen Kindheitstraum erfüllt, der mir jetzt erst bewusst wurde: Im Keller steht mein eigener, nietnagelneuer Handrasenmäher: ein Spindelmäher Classic 400! Der Produktname allein klingt, als würde man in einen Dreier-BMW steigen. 400 heißt hier: 40 Zentimeter Schnittbreite. Damit bin ich ganz vorn dabei! Im Netz finde ich Formulierungen wie: „Spindelmäher: Die erste Wahl für echte Gartenfans!“ Aber auch: „Nichts für faule Leute“.
Die Firma selbst schreibt: „Der Spindelmäher 400 ist umweltfreundlich und funktioniert ohne Strom!“ Dieses Gerät ist mein Beitrag gegen den Klimawandel, ich mähe nur noch leise „Freitags for Future“. Die Gänseblümchen lasse ich stehen.
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