Die Wahrheit: Hinken mit voller Hose
Beim Nazispotting am spätsommerlichen Badestrand können die braunsten Exemplare der Rechtsradikalen besichtigt werden.
Am Badesee nordwestlich von Berlin sind meist nur wenige Rechtsradikale auszumachen. Im Südosten gebe es weitaus ergiebigere Vorkommen, hatte mir die Buchhändlerin mal erzählt. Und dann auch noch in richtig großen Rudeln und nicht so vereinzelt wie hier, wo man die braunen Burschen an manchen Tagen fast schon mit der Lupe suchen muss.
Erschwerend kommt hinzu, dass beim Nazispotting die Diagnose oft nicht ganz eindeutig ist. Hier zum Beispiel der Familienvater mit den zu kleinen Zöpfchen geflochtenen Bartenden, der seine Kinder mit altgermanischen Namen ruft: ein völkischer Siedler oder ein harmloser Hipster, der seinen Retrospleen mehr so schwerpunktmäßig im frühen ersten Jahrtausend auslebt?
Und dort hinten die Angler im Schilf mit ihrer Tarnkleidung, ihren Tarnzelten, fragwürdigen Hunden und Angelausrüstungen im Gegenwert eines Trawlers: harmloses Hobby oder Vorbereitung auf ein Leben im rechten Untergrund? Man weiß es nicht.
„Guck mal, da ist einer.“ Tätowierungen machen die Einordnung oft klarer – noch besser wäre allenfalls ein Schild um den Hals. In diesem Fall sind es die verblassten Germanentätowierungen eines älteren Typen, der mit einem frischen Bier zurück zu seinem Campingstühlchen hinkt.
„Ja, aber nur so ein mickriger“, sage ich. „Der zählt doch kaum. Den müsste man zurück ins Wasser werfen.“
Tief gebeugt vom Leben
Denn kümmerlich sieht er aus. Er hat eine sehr schlechte Haltung. Also auch körperlich. Das Leben hat ihn tief gebeugt. Bei manchen fragt man sich ja, ob sie zunächst von den Umständen gebeutelt und dann rechtsradikal geworden sind oder umgekehrt. Was war zuerst: die Henne oder das Ei?
Dann aber sichten wir einen kapitalen Prachtkerl. Wohl gut zwei Zentner schwer und ordentlich groß, befindet er sich im Ansprung auf die semiambulante Pommesbude. Brandneu glänzt das schwarze T-Shirt, auf dem groß in weißen Blockbuchstaben „ADI DOES“ steht.
Dieser feine Nazihumor. Unvergleichlich. Den versteht sogar Horst Seehofer; exakt so muss Satire aussehen, über die sich trefflich schmunzeln lässt. Davon könnte sich so mancher linke Hilfskasper eine dicke Scheibe abschneiden.
„Aber der ist gut, oder?“, frage ich stolz. Schließlich habe ich ihn entdeckt. Ich habe Lust, ihn anzusprechen: „Heil Hitler, Kamerad. Dürfte ich mir vielleicht mal Ihre Einhornschwimmhilfe ausborgen?“
„Tut mir leid“, wird er sagen. „Das ist eine detailgetreue Nachbildung des Einhorns Blogward, mit dessen Hilfe der kleine Odin einst im Fluss Bracke das Schwimmen erlernte. Das ist nix für Zecken. Echt supersorry.“
Aber das macht gar nichts, denn die Frage war natürlich nur ein Vorwand, um mit ihm ins Gespräch über seinen sicher interessanten Werdegang zu kommen. Und es funktioniert: „Ich war einst gut“, beginnt er zu erzählen. „Ich fütterte das Huhn, tränkte das Schwein und ehrte die Demokratie. Ich sott das Lamm, barg das Wrack und salbte die Ente. Ich schor das Schaf, spann das Garn und wob das Wams. Ich buk das Brot, molk die Kuh und passierte die Tomate …“
„Ich hab’s jetzt durchaus verstanden.“ Ich versuche ihn zu unterbrechen. „Geht das vielleicht auch ein bisschen kürzer?“ Hoffnung habe ich allerdings wenig. Das ist hier nämlich genau der Grund, warum ich so ungern mit Nazis diskutiere. Sie sind wie vernarrt in ihre unregelmäßigen Vergangenheitsformen und finden dann kein Ende.
„Ich war nicht nur gut, sondern sogar sehr gut.“ Wohl um anzuzeigen, wie gut, aber auch genau, hebt er den rechten Arm. „Ich schmückte den Baum, sang das Lied, schnitt das Korn. Ich liebte das Weib, lehrte das Kind, schob die Kugel. Ich schalt den Schuft, zieh den Raben, kniff den Spötter. Ich ließ das Wasser, hielt den Kot, blies den Odem.“
Was denn noch, denke ich. Das genügt doch längst. Fast hätte ich vergessen, wie scheiße Nazis eigentlich sein können. Aber der hier ist ja wirklich unerträglich. Ich will mich schon enttäuscht abwenden, als er doch noch die Kurve kriegt.
Baerbock mit Buntstiften
„Doch eines Tages kam eine böse Hexe des Wegs und sprach einen schlimmen Zauber über mich. Ich war gerade dabei, eine Zeichnung von Annalena Baerbock mit Buntstiften auszumalen; meine Katze Pünktchen blickte mir schnurrend über die Schulter. Da bemerkte ich plötzlich die Veränderung: Ich verwandelte mich unaufhaltsam in einen Nazi. Es war schrecklich. Mein einst glockenhelles Lachen wurde heiser, laut und fies. Meinem Mund entstieg in einem fort entsetzliches Gebrüll. In meinem Hirn wucherten die schlechtesten Gedanken. Ich warf Pünktchen in hohem Bogen aus dem Fenster. Auf einmal konnte ich nur noch bis 88 zählen. Mein zuvor federnder Gang war einem kraftmeiernden Hinken wie mit einer vollen Windel in der Hose gewichen. Jedes Mal, blickte ich in den Spiegel, waren mir schon wieder neue merkwürdige T-Shirts und hässliche Tätowierungen gewachsen. Meine eigene Mutter erkannte mich nicht mehr.“
„Das ist ja furchtbar“, sage ich, nicht ganz überzeugt.
„Am Anfang habe ich viel geweint“, gibt er zu. „Ich wollte mich einfach nicht damit abfinden. Doch schließlich fand ich Leidensgefährten, die ebenfalls verflucht waren, und wir gründeten eine Selbsthilfegruppe. Seitdem versuchen wir gemeinsam das Beste aus unserer üblen Gesinnung zu machen und sie für gute Zwecke zu instrumentalisieren: also gegen Umvolkung und für ein starkes Deutschland.“
Spätestens jetzt beschleicht mich das unbestimmte Gefühl, dass er sich die Sache schönredet. Man wähnt sich im falschen Film oder auf der Meinungsseite der FAZ: Ob Geflüchtete, Genderforscher oder böse Hexen – immer sind die anderen schuld, wenn aus Badegästen Nazis werden. Sie selbst aber wollen doch bloß schwimmen und ordentlich braun werden.
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