Die Wahrheit: Das Nest ist voll

Die Wahl zum „Vogel des Jahres“ hat begonnen. Alle Deutschen dürfen teilnehmen. Und wer liegt schon jetzt vorn? Die stinkige Stadttaube.

Viele Tauben in der Stadt

Kleinkriminelle Stadttauben treiben ihr opakes Unwesen Foto: dpa

Es ist ein großes Geschenk des Naturschutzbundes (Nabu) an das deutsche Volk: Anlässlich der fünfzigsten Wahl zum „Vogel des Jahres“ im kommenden Jahr dürfen erstmals die Bürger den Sieger bestimmen. In der Ausschreibung heißt es: „Hier stehen alle in Deutschland brütenden sowie die wichtigsten Gastvogelarten des Landes zur Auswahl.“

„Gastvogelarten“: Wenn man das schon hört. Das klingt nach „Wir schaffen das“. Wir schaffen das aber eben nicht. Das Nest ist voll. Was hat zum Beispiel ein Halsbandsittich auf dem Stimmzettel zu suchen? Das verwässert doch alles. Und morgen kommt dann vielleicht der Vogel Strauß oder das Flughörnchen oder der Archaeopteryx und möchte ebenfalls gewählt werden.

Überhaupt fragt man sich, wie das um Himmels willen gut gehen soll. Denn die Bevölkerung ist noch gar nicht reif für so viel direkte Demokratie. Das sieht man schon allein daran, dass zurzeit nicht der Feldschwirl oder das Odinshühnchen den Wettbewerb anführen, sondern die Stadttaube! Wie krank kann man eigentlich sein? Ein Volk, das sich so entscheidet, ist doch schon wieder dabei, das dünne Mäntelchen der Zivilisation an der Garderobe zur Barbarei abzugeben.

Ausgerechnet dieser kleinkriminelle Cousin der Streifen-, Karo- und Ringeltaube. Wo uns die brave Brieftaube die Post bringt, unterschlägt die stinkige Stadttaube sogar Einschreiben mit Rückschein, um darin nach Wertsachen und Futter zu stöbern; wo die Turteltaube mit all ihrer Liebe aufwartet, kontert die Stadttaube mit Gaslighting, Rape Culture und Hass; wo die Türkentaube orientalisches Flair in unseren Gefilden verbreitet, ist die Stadttaube deutscher als deutsch: schmutzig, expansiv und meist besoffen. Deshalb wird sie wahrscheinlich auch gewählt.

Falsche Vögel

Wo derart viel auf dem Spiel steht, sind Manipulationen Tür und Tor geöffnet. Bei der Onlineabstimmung sind Wahlfälschungen zugunsten der skrupellosesten Kandidaten wie Pommerngeier, Nervtöter und Stadttaube an der Tagesordnung. „Zufällig verschwundene“ Mails, täuschend echt aussehende Fake-Seiten mit falschen Vögeln, Spyware und Trojaner runden das Bild einer durch und durch korrupten Veranstaltung ab. Gegen diesen Wahlkampf ist selbst eine Schmierenkomödie wie der Deutsche Buchpreis ein Ausbund an Ehrlichkeit und Transparenz.

Apropos Buchpreis: Der Autor Saša Stanišić versucht die Wahl mit seiner eigens für den Wahlkampf zusammengestellten Hooligan-Gruppierung „Goldregenpfeifer-Ultras“ zu beeinflussen und liegt mit seiner Hungerente auch tatsächlich schon auf Platz zwei. Das sind exakt die Einschüchterungsversuche, wie sie auch das Ende der Weimarer Republik einläuteten. Die Entscheidung zwischen der Ratte der Lüfte und dem prunksüchtigen Arschflöter gleicht der zwischen Teufel und Beelzebub – das ist, als wäre Bolsonaro Trumps einziger Gegenkandidat.

Und der Schriftsteller ist längst nicht der einzige Prominente, der unbotmäßig „seinen“ Vogel pusht. Boris Becker betreibt eine Kampagne für die Hagelkrähe, Bushido für die Vollmeise und Beatrix von Storch für den – wie könnte es anders sein? – Kackvogel. Sahra Wagenknecht wiederum drängt darauf, dass allzu flatterhafte Gastvögel ihr Gastvogel- und damit auch das passive Wahlrecht verwirken.

Angesichts solch unlauterer Parteinahme verwundert es kaum, dass ein redlicher Gesell wie der Teichwasserläufer nur den letzten der 307 Plätze belegt. Das ist nicht fair. Warum hat dieser Vogel keine Lobby? Wieso hasst man ihn so, was hat er getan? Silberne Löffel geklaut? Ins Teichwasser gepinkelt? Saša Stanišić beleidigt? Während die Gastvogelarten wieder alles vorn und hinten reingeschoben bekommen (Nester, Würmer, Eier­wärmer) … ach nee, hupps, er ist ja selber eine …

Unlautere Parteinahme

In jedem Fall wird es ein Hauen und Stechen geben, denn bis zum 18. Januar 2021 werden aus den bis dahin eingegangenen Stimmen die zehn führenden Piepmätze ermittelt. Dann heißt es: „Conquer or die“ („Sieg oder stirb aus“). Jeder Vogel, der nicht auf dieser Shortlist steht, braucht sich über eine etwaige Zukunft keine Illusionen mehr zu machen.

Am 19. März wird schließlich der Sieger verkündet. Neben unsterblichem Ruhm winken ein Gutschein für einen einwöchigen Balzkurs, der Ikea-Nestbausatz „Glukke“ sowie zehn Kilo Vogelfutter der Firma „Seitenbacher“, neben dem Nabu und der Lufthansa übrigens der Hauptsponsor des Events.

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kari

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