Die Wahrheit: Alle reden vom Wetter …
Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, das gängigste aller Plauderthemen als Gesprächseröffnung und überhaupt als Smalltalk einzusetzen?
M an kennt es: Da erreicht man – knapp dem Höhepunkt eines Regenschauers entkommen – die Wohnung einer Bekannten oder das Büro und kommentiert im Hereinkommen, und um die Tatsache zu überspielen, dass Menschen sich ohnehin nichts zu sagen haben, eben mal den jüngsten Wetterumschwung: „Hui, das schüttet aber …“, oder „Besser als diese Hitze ist’s allemal“. Kaum ausgesprochen, schon rollen die Augen der Umstehenden in ihren Höhlen umher wie Lottokugeln bei der Auslosung am Mittwochabend. Manch einer seufzt gar empört, als hätte man ein Massaker relativiert oder Sympathien für Björn Höcke bekundet.
Zugegeben, originell geht anders, aber muss man dem allgegenwärtig waltenden Diktat der Originalität und Selbstvermarktung noch bei der Begrüßung gerecht werden? Kann ein Plausch übers Wetter nicht als erfrischend unoriginell, als die unerwartete kühle Brise in der sengenden Hitze der Leistungsgesellschaft gesehen werden? Man könnte es ja zumindest einmal versuchen.
Nichts aber wird unter Eingeweihten so genüsslich belächelt wie das Gespräch über das Wetter. Interessanterweise ausschließlich von Menschen, die vorwiegend Erörterungen über wahlweise Essen oder Amazon-Prime-Serien führen, gern ein ganzes Abendessen lang. Und wer etwas auf sich und seine Weltgewandtheit hält, muss sich bei jedem Burger-King-Besuch an diese frittierten Teigtaschen aus dem letzten China-Urlaub erinnern. Zum Nachtisch gibt’s mit etwas Glück brisante Vergleiche mit der in Sachen Experimentierfreudigkeit recht armen Deutschen Küche. Stichwort: Eintopf.
Wer maximal Eintopf im Kopf hat, und somit schließt sich der Kreis endlich, verrät sich dadurch, sich dabei noch Menschen überlegen zu fühlen, die „nur“ vom Wetter reden. Wie es sich wiederum mit Menschen verhält, die sich über Menschen aufregen, die sich über Menschen aufregen, die übers Wetter reden, ist noch nicht erforscht. Dieser Ansatz wird in just dieser Kolumne ja gerade erst erprobt. Bis dahin, so viel kann ich an dieser Stelle aber bereits sagen, fühlt er sich richtig an.
Schon der Sozialistische Studentenbund (SDS) proklamierte einst stolz auf einem berühmten Plakat mit den Köpfen von Marx, Engels, Lenin, das eine Werbung der Deutschen Bahn parodiert: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Genützt hat es dann doch wenig und das Unternehmen „Bessere Welt“ wurde durch Frittiertes und Gestreamtes ersetzt.
Gespräche über das Wetter wären somit also auch längst wieder gestattet, weil eh schon egal. Zudem spricht ja auch recht wenig gegen sie, sind sie doch erstens schnell erledigt und rufen zweitens in den seltensten Fällen langwierige Abschweifungen oder gar Streit hervor. Bis man also einen anderen Weg zur besseren Welt findet, sollte gelten: Wo man über Teigtaschen spricht, dort muss zum Wetter auch nicht geschwiegen werden.
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