Die Wahrheit: Großväterchen Dudelsack
Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Winfried „Kompromiss“ Kretschmann, die grüne Antwort auf die quäkende Biene Willi.
Als der Politologe Francis Fukuyama 1992 das Ende der Geschichte ausrief, kannte er Winfried Kretschmann nicht. Erst mit ihm, in dem die von den Griechen ausgedachte Demokratie, der von den Römern ausgekochte Rechtsstaat und die in Golgotha an den Start gegangene christlich-abendländische Zivilisation gemeinsam mit dem schwäbischen Dialekt in einer Person vierfältig zusammenfließen – erst mit Winfried Kretschmann, so heißt es in seinem eigenhändig verfassten Buch „Worauf wir uns verlassen wollen“, werden die von Fukuyama beschworenen, von Hegel und Marx erfundenen antagonistischen Widersprüche, die seit 13 Jahrmilliarden die Entwicklung des Kosmos und Baden-Württembergs antrieben, werden mit Kretschmanns Regentschaft Ziel und Zweck Gottes in der Welt erreicht.
Als der baden-württembergische Ministerpräsident 1948 in Spaichingen, Landkreis Tuttlingen, zur Welt kommt, wissen die wenigsten, was es damit auf sich hat. Sie ahnen es nicht einmal, als der grüne Spitzenkandidat von 2011 in Zwiefalten-Sonderbuch die Volksschule besucht, dann in ein katholisches Internat in Riedlingen eintaucht und schließlich in ein gesundes Gymnasium in Sigmaringen zurückfindet. Alle Orte mit der schwäb’sche Eisebahne erreichbar!
Jahre später und nach dem Durchlaufen des Grundwehrdienstes lehrt der inzwischen erwachsen gewordene Präsident des Bundesrates von 2013 als Oberstudienrat schwäbische Biologie und Chemie an Gymnasien in Esslingen, Mengen und Bad Schussenried, sowie auch Ethik. Alle Orte nun sogar mit Daimler!
Erkoren und dekoriert
Auch als der 2011 vom Magazin Politik & Kommunikation zum Politiker des Jahres Erkorene und Angehörige des Kommunistischen Bundes Westdeutschland Großer Vorsitzender des Asta der Universität Hohenheim ist, um von deren Sitz im Stuttgarter Stadtteil Plieningen aus die BRD aufzurollen, weiß keiner über den Burschenschaftler der katholischen Studentenvereinigung Carolingia richtig Bescheid, nicht einmal die Geheime Staatspolizei, der Verfassungsschutz. Denn nachdem der 2017 mit dem „Orden wider den tierischen Ernst“ Dekorierte für ein halbes Jahr an einer Kosmetikschule als Lehrkraft geparkt hat, muss das Land Baden-Württemberg anerkennen, dass Winfried Kretschmann überzeugter Fan des VfB Stuttgart ist, und ihn 1977 als Studienassessor aufnehmen, bestallen und bezahlen.
Allerdings hält es das Mitglied des Schützenvereins und weiterer 30 Vereine nicht im Klassenzimmer. Da die CDU bereits voll besetzt ist, wendet sich das Kind christlich eingetrübter Eltern – das heute regelmäßig im katholischen Kirchenchor seine Stimmbänder aufzieht, einmal im Jahr Geist und Körper im Kloster Maria Laach lüftet und Exerzitien treibt – den ahnungslosen Grünen zu.
Dort macht der ein Meter 93 hohe Igelhaarbesitzer Karriere als radikaler Realo, als überzeugter Fundamentalist der Anpassung an alles und knallharter Dogmatiker des Kompromisses mit jedem, weshalb der vom Deutschen Brauer-Bund 2017 ausgezeichnete Botschafter des Bieres und Extremist der Mitte bei den in Baden-Württemberg angesiedelten Menschen und Konservativen bis über den Rand beliebt ist.
Nageln und fliesen
Das auch, weil Kretschmann, Stichwort Golgotha, selber gut mit Nägeln kann. Als zünftiger Heimwerker kann er besser schaffe, schaffe, Häusle baue als mancher Zimmermannssohn, kann in seinem Domizil im oberschwäbischen Laiz aus einer Trockenbauwand eine Terrasse fliesen und baut einen Gartentisch im Handumdrehen in einen Vogelkasten um, der auch als Kinderkrippe dienen kann. Der Alleskönner ist wie alle im Ländle ein Universalgenie. Nur dass er auch Uhrmacher, Raketentechniker und Olympiasieger vom Zehnmeterturm ist, ist und bleibt fürs Erste ein Gerücht.
Keines ist es, dass das Gründungsmitglied der Grünen und der Weggefährte Oswald Metzgers (dann in der CDU eingebürgert), Thomas Schmids (dann im Bett mit FAZ und Welt) und Boris „Brauni“ Palmers ein Erfinder ist, und zwar des ökolibertären Flügels der Grünen und des von ihm ausgebrüteten „pragmatischen Humanismus“. Weniger human ist es allerdings, wenn er seine quäkende Stimme erhebt, die das ganze Ländle bis in die Grundfesten erschüttert wie ein Ohrenbeben und nicht von ungefähr an die Drohne Willi in der Zeichentrickserie „Biene Maja“ erinnert.
Das Gute daran: Keiner hört ihm zu, und so ist es ihm möglich, seiner Politik die normative Kraft des Faktischen als faktische Norm zugrunde zu legen, gemeinsam mit der oben bezifferten Firma Daimler die Welt kraftvoll zuzudieseln sowie als bodenständiger Schwabe Asylbewerber dorthin zu schicken, wo ihre gepfefferte „Heimat“ ist. Dort kann ihnen von den „lieben Mitbürgern und Mitbürgerinnen“ der geeignete „Wertekompass“ nahegelegt werden, ggf. zeitnah und nachhaltig mittels der aus Baden-Württemberg stammenden „Innovationen“ und „Innovationsexporte“ von Heckler & Koch. (Alle Zitate auf ihre Echtheit geprüft.)
Und das Beste: Winfried Kretschmann ist nach elf Jahren noch immer nicht am Ende. Sollte er sogar eine dritte Amtszeit bewältigen, überträfe er alle Vorreiter in seinem Amt. Dann könnte er 2026 vergöttlicht werden und sein Sohn Johannes „Kim“ Kretschmann in seine Fußstapfen … – nein, er könnte noch höher steigen! Gerade wurde er in voller Leibesgröße für den Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen für die Bundestagswahl nominiert. Nordkorea lässt faustdick grüßen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels