Die Wahrheit: If I had a hammer …
L’éducation sentimentale: Ein Zimmermann hat immer das Werkzeug, jede Krise zu bewältigen. Der Krummhauer schlägt sie alle.
Ich habe einen richtigen Beruf gelernt, ich bin Zimmermann. Ordentlich mit Gesellenbrief und „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Die Zimmerei ist die vielleicht anspruchsvollste Baukunst überhaupt, auch die vielseitigste. Und die traditionellste, denn schon Josef war Zimmermann und Jesus damit der weltberühmteste dieser Zunft, denn er musste natürlich sofort bei Papa mit anpacken. In Markus 6, 3 heißt es: „Ist er nicht der Zimmermann, Marias Sohn …“ Also erst Zimmerer lernen, dann Wunder tun, denn die Zimmerei ist eine Schule fürs Leben.
Einige später in anderen Feldern erfolgreiche Menschen lernten diesen Beruf, der Dichter und Autor Andreas Greve, der Schauspieler und Musiker Jan-Josef Liefers. Oder der Winzer Hanspeter Ziereisen, der es geschafft hat, dass seine Weine bei Suchmaschinen im Netz weit eher genannt werden als das Schnitzwerkzeug gleichen Namens. Der berühmteste deutsche Zimmermann ist Manfred Krug durch seine Darstellung des Hannes Balla im Defa-Film „Spur der Steine“ aus dem Jahr 1966, der ruckzuck verboten wurde und erst 1989 wieder gezeigt werden konnte.
Der legendärste Zimmerer für mich ist mein eigener Vater, der so exakt und penibel gearbeitet hat wie kein zweiter. An dem ist eigentlich ein Tischler verloren gegangen. Ich lernte in einer Firma, in der auch Tischler tätig waren, ein Berufsfeld, für das alles Tun quasi eine Intarsienarbeit ist. Deshalb hieß es bei uns immer in Abgrenzung zu den feinen „Schreinern“: „Mach hin, das wird kein Wohnzimmerschrank!“
Grobheit und Ungenauigkeit
Die wiederum machten sich über unsere angebliche Grobheit und Ungenauigkeit immer lustig mit dem Satz: „Ein Zimmermannszentimeter ist so lang, wie er mit seinem Krummhauer werfen kann.“ Ein Krummhauer, auch Dechsel, Dexel oder Querbeil genannt, ist ein spezielles Werkzeug, eine Art Axt, bei der die Schnittfläche quergestellt ist zur hinteren Schlagfläche. Jeder Zimmermann macht sich traditionell seinen Stiel selbst, angepasst an die jeweilige Handgröße. Ich war der kleinste in der ganzen Firma und hatte dementsprechend den dünnsten Stiel, aus Kirschholz.
Wenn der Zimmermannshammer – oder Latthammer – der König unter den Werkzeugen ist, dann ist der Krummhauer der Kaiser. Er muss nicht oft mitarbeiten, hat aber, wenn man die Sparren auf den Pfetten vernagelt, immer das letzte Wort. Mein Krummhauer, obwohl man außerhalb der Zimmerei kaum je Verwendung für ihn hat, steht bis heute stolz bei meinen Werkzeugen, bewundert von allen Schraubendrehern und Maulschlüsseln.
Zimmermann und Zimmermädchen
Zimmerleute heißen inzwischen offiziell Zimmerer, damit es keine Verwechslungen mehr gibt mit den Berufsbezeichnungen Zimmermann und Zimmermädchen. Wobei ich gern wüsste, wer die beiden jemals verwechselt hat.
Ich bin dann letztlich nicht in diesem Beruf geblieben. Schade, denn in meinem jetzigen als komischer Bühnenmensch habe ich gerade virusbedingt Berufsverbot. Als Zimmermann hätte ich die ganze Zeit arbeiten können. Dachsparren trägt man zwar zu zweit, aber die sind mindestens fünf Meter lang. Da hat man immer genug Abstand. Du stehst ungefähr einen halben Meter vom Ende weg, das heißt, du hast immer noch vier Meter zwischen dir und dem Kollegen.
Das Problem ist die Mittelpfette, die ist immer so schwer, dass du sie nur zu viert tragen kannst, Schulter an Schulter. Da hast du aber die Pfette als solche zwischen dir und dem Partner, und eine wuchtige Mittelpfette von Minimum 25 mal 40 Zentimetern ist mindestens ebenso effektiv als Spuckschutz wie das Plexiglas vor der Kassentheke im Supermarkt.
Doch bevor ich jetzt sentimental werde und aus purer Gefühlsduselei ein paar Nägel ins Holz schlage, konzentriere ich mich lieber auf die Gegenwart und hämmere ein paar Zeilen in die Maschine. Huch, ist ja schon passiert! Und macht genau so viel Spaß wie das Nageln mit dem Krummhauer. „If I had a hammer / I’d hammer in the morning …“
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